Freitag, 13. August 2021

Silvana Condemi, François Savatier: Der Neandertaler unser Bruder

300.000 Jahre Geschichte des Menschen

Das Bild welches in den Büchern meiner Kindheit vom Neandertaler gezeichnet wurde, war das eines tumben Toren, der nur primitive Werkzeuge erschaffen konnte und des Sprechens nicht mächtig war. Dieses Bild konnte bis heute gründlich falsifiziert werden. Homo sapiens neandertalensis war ein geschickter und anpassungsfähiger Jäger und Sammler, der sich im eiszeitlichen Europa und angrenzenden Gebieten über 300.000 Jahre behaupten konnte, bevor der Kontakt mit Homo sapiens sapiens schließlich seinen Niedergang einläutete. 

Dieses gut lesbare Buch fasst aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu diesem Thema zusammen und stellt auch klar, dass unsere Brüder und Schwestern in uns weiterleben. Bevor sie vom Angesicht der Erde verschwanden haben sie sich nämlich mit unseren Vorfahren vermischt. Etwa ein Drittel des ursprünglichen Neandertalergenoms hat so überdauert, in jedem von uns schlummern so ein bis vier Prozent davon. 

Einzig die Tatsache, dass bei der Übersetzung einige Fachbegriffe ungenau ins Deutsche übertragen wurden, trübt den Lesegenuss. Aber das ist wirklich auf hohem Niveau genörgelt.

Lesen, und zwar unbedingt und sofort.

Dienstag, 3. August 2021

Snežana Šimičić, Stephan Fennel: Biker-Weekends Nachbarländer

Unterwegs auf Insidertouren der Biker Wirte 

Dieser Reiseführer aus dem TVV Touristik Verlag wurde mir vor ein paar Tagen als verspätetes Weihnachtsgeschenk überreicht - Weihnachten im Kreis der Lieben ist ja wegen Corona ausgefallen. Und ja, ich weiß: Ich sollte nicht über ein Buch schreiben, das ich nicht von vorne bis hinten gelesen habe. Aber bei Kochbüchern und Reiseführern erlaube ich mir gelegentlich auch Ausnahmen. Die liest man, wenn man sie braucht, nicht aber schon im Vorfeld.

Das Buch gliedert sich in genau so viele Kapitel, wie Deutschland Nachbarländer hat. Für jedes Nachbarland werden ein oder zwei bikerfreundliche Hotels als Basislager vorgeschlagen und von dort ausgehend jeweils zwei oder drei Tagestouren. Dabei wird nicht nur Landschaft und Streckenführung aus der Sicht eines Motorradfahrers beschrieben und bewertet, es gibt auch noch viele Hinweise für kulturelle oder technische Sehenswürdigkeiten. Langweilig wird es auf diesen Routen also ganz sicher nicht. Die Routen kann man sich beim Verlag für die verschiedensten Navigationssystem herunterladen und sogar editieren. Das scheint mir auch notwendig, denn mit zwei- bis dreihundert Kilometern sind die Touren für meinen Geschmack fast schon zu lang. Ich lasse es auf dem Bock gerne ruhig angehen. Aber das ist jetzt auf sehr hohem Niveau genörgelt. Ein tolles Buch!

Lesen!

Montag, 2. August 2021

Joachim Kahl: Das Elend des Christentums


oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott

Im Jahr 1968 erreicht der blutjunge Kahl seinen Doktorgrad in Theologie. Er tritt danach sofort aus der Kirche aus und schreibt über diesen für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen Vorgang ein Buch. Dieses veröffentlicht er in einem kleinen Verlag, der kurz darauf in den Konkurs geht. Glück im Unglück: Der Bastei-Verlag nimmt sich der Konkursmasse an, und so landet Kahls Werk als Paperback in den Bahnhofsbuchhandlungen. Etwas Besseres hätte ihm nicht passieren können. Das Buch erreicht Rekordauflagen und entwickelt sich zu einem Grundlagenwerk der 68er-Bewegung.

Herr Kahl erliegt nicht der (naheliegenden) Versuchung, die Kirchengeschichte nach den reichlich vorhandenen Gräueltaten abzuklappern. Hexenverbrennung, Kreuzzüge, Inquisition oder Kindesmissbrauch wären denkbare Ziele einer solchen Strategie. Er zeigt vielmehr strukturelle Probleme auf. Die angesprochenen Probleme sind nicht Verfehlungen im Einzelfall, sie lassen sich vielmehr direkt aus den „heiligen“ Schriften ableiten und damit begründen. Deshalb enthält das letzte Kapitel auch ein flammendes Plädoyer für eine humanistisch geprägte Welt mit einer nicht durch irgendeinen Gott zur begründenden Moral.

Ein wichtiges und lesenswertes Buch!