Samstag, 25. Februar 2023

Markus Orths: Tante Ernas letzter Tanz

Ewig währt am längsten

„Ich hole Luft. Wenn ich aussteige, legt sich eine seltsame Heimatzähe auf Glieder und Stirn. Ich gehe Mutter entgegen. Jetzt sieht sie mich. Ihr Gesicht blitzt auf. Sie setzt sich in Bewegung. Ihr Trippeln, diese Schrittchen, das energische Schlenkern mit den Ellbogen. Ich breite die Hände aus wie Pastor Kasper am Altar. Wir nehmen uns in den Arm.“

Der Protagonist besucht seine Mutter. Und wie fast immer, wenn man seine Mutter besucht wird man wieder ein kleines Bisschen Kind: Das Lieblingsessen steht auf dem Tisch, das Kinderzimmer lässt längst vergessen geglaubte Erinnerungen wach werden, man denkt an die etwa gleichaltrige Sibille aus der Nachbarschaft, die inzwischen natürlich längst ein eigenes Leben führt. Weit weg, in der großen Stadt und nicht in Niederkrüchten, irgendwo in der Tiefebene im Norden.

Sibilles Mutter ist übrigens Mutters beste Freundin geworden, und die ärgert sich etwas, dass ihre Tochter so viel seltener zu Besuch ist. Und so erfindet sie einen perfiden Plan, um das geliebte Kind in die Heimat zu locken.

"Tante Ernas letzter Tanz" ist ein wundervolles Stück Heimatgeschichte, eine absurd komische Groteske und sehr, sehr gefühlvoll.


Lesen, und zwar unbedingt und sofort!


Freitag, 17. Februar 2023

Grégory Salle: Superyachten

Luxus und Stille im Kapitalozän

Inzwischen haben diese Spielzeuge der Superreichen die 200-Meter-Marke durchbrochen. Ihre Zahl nimmt stetig und immer schneller zu, dabei hat jede von ihnen einen CO2-Footprint wie eine kleine Stadt - für gerade mal eine Handvoll Passagiere. Gesetze scheinen für sie nicht zu gelten, Arbeitsrecht ist weitgehend unbekannt. Schwimmenden Steueroasen gleich ankern sie in lauschigen Buchten oder an traumhaften Korallenriffen und richten dabei gewaltige ökologische Verwüstungen an. An diesem gut gewählten Beispiel deckt der Politikwissenschaftler Salle die Missstände und Auswüchse des globalen Raubtierkapitalismus auf. Er tut dies mit Ironie und Sarkasmus, aber auch mit wissenschaftlicher Präzision und knallharten Fakten. Ich wusste das bisher nicht!

Deshalb: Lesen, und zwar unbedingt und sofort.

Mittwoch, 15. Februar 2023

Ralf König: ABBA Hallo!

Die Corona-Pandemie hängt den Leuten langsam zum Hals heraus, die Ukraine-Krise wirft bereits lange Schatten voraus, ABBA bringen nach Jahrzehnten des eisernen Schweigens endlich ein neues Album heraus und Konrad findet, dass Paul ihm gelegentlich mit seiner pubertären Art auf die Nerven geht. Dabei ist Paul fast sechzig! Aber er vögelt immer noch kreuz und quer durch die Szene, macht sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Narren und hat auch noch Spaß dabei. Und dann kommt Romano ins Spiel. Romano ist der Ex von Bruno Brockenholz und ist selber ein richtiger Brocken: Groß, muskulös und behaart von oben bis unten. Und unter dem Namen „Schmusebaer-Köln“ bietet er auf einer einschlägigen Internetplattform seine Dienste als Kuschelpartner an. Romano ist sozusagen ein Softcore-Escort: nur Schmusen! Pauls Ehrgeiz erwacht.

Dies ist bereits das zweite Buch des Meisters, das unter Corona-Bedingungen ungeplant und unter Einbeziehung der Reaktionen seiner Fans auf Instagram und Facebook entstanden ist. Eigentlich wollte Herr König nur zwei, drei Blätter veröffentlichen, um sich dann wieder einem anderen Projekt zu widmen. Doch durch das Feedback seiner Leser begannen die Figuren, ein Eigenleben zu entwickeln und die Handlung verselbstständigte sich. Am Ende waren es 187 Seiten, eine liebevoller gezeichnet und koloriert als die andere. Die Geschichten sind sehr lustig, teilweise auch tiefgründig und sehr berührend. 

Ein rundum gelungenes Buch und ein königliches Vergnügen! Absolute Leseempfehlung!