Sonntag, 24. Oktober 2021

Jean-Yves Ferri, Didier Conrad: Asterix und der Greif

In diesem 39. Abenteuer unserer Gallischen Helden wird's exotisch. Nachdem in den vergangenen 38 Bänden bereits die ganze bekannte Welt der Antike (und noch etwas mehr) abgeklappert wurde, geht es jetzt ganz weit in die Steppen Mittelasiens. Dort lebte das Volk der Sarmaten, über die man heute fast keine gesicherten Erkenntnisse besitzt. Das eröffnet Raum für phantastische Spekulationen. 

So schicken sie in dieser Geschichte, den Amazonen gleich, ihre Frauen in den Kampf und die Männer hüten derweil die Kinder und das Haus. Allein diese bemerkenswerte gesellschaftliche Konstellation ist schon für sich genommen Stoff für so manch komische Situation, doch auch die...
Augenblick mal! Das Heft hat ja nur 48 Seiten, ich erzähle hier also die Handlung nicht an.

Der Asterix-Stern ist noch nicht erloschen, er leuchtet vielmehr wieder etwas heller. Das neue Autorengespann arbeitet, obwohl durch den Atlantik getrennt, Hand in Hand zusammen. Es entsteht eine stimmige Handlung aus dem Asterix-Universum. Lieb gewordene Stereotypen werden weitergesponnen, neue entwickelt. Auch auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wird, wie immer mit ironischem Augenzwinkern, gerne geschossen. Monsieur Conrad zeichnet ganz im Stil der Erfinder der Reihe, doch scheinen mir seine Entwürfe durch ungewohnte Perspektiven etwas dynamischer zu sein als die Originale. Auch die gezeichneten Landschaften wirken auf mich etwas opulenter und fast plastisch. Es wird ein eigenständiger Zeichenstil erkennbar, ohne dass Conrad zu sehr vom Vorbild abweicht. Mir gefällt das sehr gut.

Sehr zu empfehlen!

Lesen, und zwar unbedingt und sofort!

Montag, 18. Oktober 2021

Beate Knappe: Bestandteil


Stück vom Ganzen

Frauen in Chemnitz/DDR

Wie war das noch, im Jahr 1990 in Deutschland? Die Mauer war gefallen, der Ostblock und damit der Kalte Krieg lösten sich langsam auf. Wir alle waren besoffen vor Glück. Es gab sie noch, die DDR. Selbstbewusst wählte man im zweiten deutschen Staat eine demokratisch legitimierte Regierung, trug die Mauer und den Todesstreifen ab und benannte Karl-Marx-Stadt wieder in Chemnitz um. Es war noch nicht abzusehen, wie klein das Zeitfenster für eine Wiedervereinigung Deutschlands sein würde, wie groß die Sachzwänge und wie begrenzt die Handlungsoptionen. Es herrschte Aufbruchstimmung!

Die junge, aber in der Reportagefotografie durchaus erfahrene Fotografin Beate Knappe reiste ins zweite Deutschland, um dort das Leben von Frauen zu dokumentieren. Hier wurde schließlich längst gelebt, was im Westen noch lange nicht in jedem Bereich selbstverständlich war: Gleichberechtigung. Aber stimmte das wirklich? Beate suchte Frauen an ihren Arbeitsplätzen auf, aber auch im Privaten. Die skeptische Sichtweise der Fotografin wird bereits auf den ersten Bildern deutlich: Bald findet sich das Bild einer Eingangstüre zu einer erotische (pornografischen?) Video-Show, dann ein sauber aufgeräumter Büroarbeitsplatz mit einem großen Frauenaktbild an der Wand. Das Poster ist nicht unbedingt geschmacklos, aber heute würde man mit Sicherheit daran Anstoß nehmen. Es folgen zahlreiche, einfühlsame Fotografien von Frauen in den verschiedensten Situationen. 

Ich halte dieses Buch für ein besonders gelungenes Dokument der Zeitgeschichte. Man sollte immer im Kopf behalten, dass es ihn einst gab, diesen zweiten deutschen Staat, in dem so vieles gleich war, und doch vieles so unterschiedlich. 

Leider nur noch antiquarisch zu erhalten. Wem sich die Gelegenheit bietet: Zuschlagen! Ein gutes und wichtiges Buch.


Mittwoch, 13. Oktober 2021

Gerhard Hofmann: Kunigunde Kirchner

Auf den Spuren einer Legende

In Neustadt habe ich mehrere Jahre in der Kunigundenstraße gewohnt. Alter Fachwerkbestand, Dachgeschoss - schön. Wenn ich an Samstagen morgens länger zu schlafen versucht habe, wurde ich nicht selten geweckt von den kräftigen Stimmen der Stadtführer, die den Touristengruppen mein schönes Neustadt gezeigt und erklärt haben. Die Kunigundenstraße war wohl bei jeder Führung eine wichtige Station, denn hier soll sie auf die Welt gekommen sein, die Heldin von Neustadt. Kunigunde Kirchner soll während der Erbfolgekriege als blutjunges Ding die Stadt vor der Vernichtung durch französische Truppen bewahrt haben. Und zwar auf ebenso anrührende wie effektive Weise. Vor dem Kommandeur der feindlichen Armee Johann Peter de Werth soll sie auf die Knie gefallen sein mit der eindringlichen Bitte um Verschonung ihrer Stadt. Dieser soll angesichts der Schönheit der damals 15jährigen derart ergriffen gewesen sein, dass er nicht nur der Bitte nachkam, sondern auch gleich noch die edle (wenn auch bürgerliche) Jungfer geehelicht und heim ins Frankenland geführt haben soll. Soweit die Legende, die ich im Schlafzimmer meiner Dachwohnung in der Kunigundenstraße jeden Samstag gehört habe. In den verschiedensten Sprachen und Versionen.

Doch was ist dran an der Geschichte? Handelt es sich bei Kunigunde Kirchner um eine historisch belegbare Person? (Spoiler: Ja) Hat der Kniefall der Kunigunde tatsächlich Neustadt vor der Einäscherung bewahrt? (Spoiler: Nein, aber das hat ja wohl auch niemand ernsthaft erwartet.)

Der geschichtsinteressierte Neustadter Künstler Gerhard Hofmann trägt in seiner Festschrift zum 350. Geburtstag der Heimatlegende historische Fakten zum Thema zusammen. Er sichtet und bewertet Urkunden, Zeitungsartikel und künstlerische Darstellungen aus mehreren Jahrhunderten und beleuchtet so die Geschichte des Raums aus einer ganz besonderen Perspektive. 


Das Ergebnis seiner Nachforschungen ist alles Andere als eindeutig, aber so ist das halt in der Wissenschaft: Wenn man irgendein Problem abschließend lösen könnte, dann könnten wir den Laden gleich dicht machen.

Ein überaus interessantes kleine Büchlein. Lesen, und zwar unbedingt und sofort!

Sonntag, 3. Oktober 2021

Beate Knappe: ...der Angst die Haare vom Kopf fressen!

Dieses Buch von Beate kommt nicht so wuchtig daher, wie das über ihr Lebenswerk. Großformatig zwar, hochwertiger Druck, aber eher ein schlankes Heft. 

Es dokumentiert eines ihrer faszinierenden Fotoprojekte der letzten Jahre: An Brustkrebs erkrankte Frauen rasieren sich kurz vor Beginn der Chemotherapie den Kopf, um nicht dem Krebs den Triumph zu gönnen, die Haarpracht gestohlen zu haben. Beate begleitet die Frauen auch später noch als Fotografin, so entstehen erschütternde Einsichten in das Leben von mutigen, teilweise auch todgeweihten Menschen.

Ich habe beim Anblick der Bilder aus dieser Serie mehr als einmal Rotz und Wasser geheult. Sie sind unfassbar schön, obwohl sie entsetzliche Geschichten erzählen, furchtbare Schicksale widerspiegeln. Krebs ist ein Arschloch, und er hat mir schon viel zu viele liebe Menschen aus meiner Umgebung geraubt. Und er tut es immer noch. Es ist an der Zeit, dieser Geißel der Menschheit endlich die Stirn zu bieten. Biontech: Ich zähle auf euch!

Ein tolles Buch, das zu betrachten ich dringend empfehle. Wer Zeit und Gelegenheit hat, sollte die Ausstellung besuchen. Sie ist vom 2. 10. bis zum 24. 10. 2021 zu sehen, in der Oststrasse 118 in Düsseldorf.
Und hier noch ein Bilderpaar, das Beate großzügig über Facebook geteilt hat und das mich ganz besonders berührt hat:
© Beate Knappe