Dienstag, 31. Mai 2022

Beate Steigner-Kukatzki: Neustadt an der Weinstraße

in der Nachkriegszeit

Die 50er Jahre hatten einen ganz besonderen Charme: Die Kriegstrümmer waren noch nicht überall weggeräumt, aber man war wieder wer! Es gab Konserven mit exotischem Obst wie Mandarinenfilets oder Ananas, gesüßte Dosenmilch und Mayonnaise aus der Tube. Die Tische waren endlich wieder reich gedeckt und es durfte auch wieder gefeiert werden. Wein war noch vorwiegend Masse statt Klasse, und der bekannte Neustadter Fischhändler Chevalier verkaufte als besondere Spezialität gewässerten Stockfisch. Viele Impressionen aus dieser Zeit hat Frau Steigner-Kukatzki in diesem Buch zusammengestellt. Teils sehr persönliche Erinnerungen, teils echte Zeit- und Sittengemälde der 50er. Viele Archive wurden hierfür geplündert, besonders wohl die von Frau Poh und Herrn Gaß, zwei in Neustadt allgemein bekannten Privatarchivaren.

Ein wunderschönes Buch, nicht nur für den heimatkundlich Interessierten Neustadter. Lesen und schauen!

Freitag, 27. Mai 2022

Yannick Scherthan, Christian Karl: Sagenhafte Pfalz

Eine Reise zu mythischen Orten

Boah! Ich war ja immer der Meinung, dass ich ganz ordentlich fotografieren kann. Landschaft, Bienchen und Blümchen, Leute - kann ich. Dachte ich. 

Mit diesem Werk des Landschaftsfotografen Yannick Scherthan in der Hand weiß ich jetzt, dass ich es in der Fotografie nie zu mehr gebracht habe als zu einem elenden Knipser.  Herr Scherthan zeigt mir, dass zum Erstellen guter Landschaftsaufnahmen wesentlich mehr notwendig ist als ein Stativ und Kenntnis von Belichtungszeit und Blende. In diesem Buch zeigen sich intime Ortskenntnisse und Arbeit. Sehr, sehr viel Arbeit, ganz offensichtlich über mehrere Jahre. Der Mann kennt sich aus in der Pfalz und er liebt seine Heimat. Das merkt man bei jedem einzelnen Bild. Übrigens auch bei den Texten von Christian Karl. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, in kurzen und geschliffenen Aufsätzen den kulturgeschichtlichen Hintergrund dieser wunderschönen Landschaft zu erklären. Vermutlich blutete dem Fotografen beim Anblick der fertigen Buches jedoch trotzdem das Herz, weil nicht jede einzelne seiner fantastischen Aufnahmen vom Layouter mit einer Doppelseite gewürdigt wurde. 

Dieser Fotoband ist zum Heulen schön. Und nein: Das ist nicht übertrieben!

Kaufen, lesen, schmökern, genießen! Und zwar sofort. Das ist ein Befehl!

Donnerstag, 26. Mai 2022

Daniel Robbel, Dirk Unschuld: 111 Orte im Ahrtal die man gesehen haben muss

Dass die beiden Autoren sich im Ahrtal gut auskennen, das kann ich bezeugen, zumindest für die beschriebenen Orte die mir persönlich bekannt sind. Und das sind nicht wenige, denn meine Wurzeln sind im Kies der Ahrauen gewachsen. Seit nunmehr 23 Jahren im pfälzischen Exil lebend erinnere ich mich noch sehr gut an meine erste Heimat, das Ahrtal. Das ist wirklich außergewöhnlich schön, und wird nach dem Wiederaufbau ganz sicher noch schöner werden. Es lohnt sich, dorthin Ausflüge und Urlaubsreisen zu unternehmen. Auch jetzt schon, knapp ein Jahr nach der verheerenden Katastrophe. Meine Bitte: Reisen Sie ins Ahrtal. Machen Sie dort Urlaub oder verbringen Sie ein Wochenende dort. Die Menschen dort leben auch vom Tourismus, die dürfen wir jetzt nicht im Stich lassen. Und vielleicht treffen wir uns ja dort.

Ein wunderschönes Lesebuch, ein Ideengeber für Ausflüge und für mich ein ganz großes Stück Heimatkunde.

Lesen, und zwar unbedingt und sofort!

Dienstag, 24. Mai 2022

Rolf Schlicher: Potzblitz - Die Pfalz

Dies ist nicht das erste Buch von Herrn Schlicher, das ich mit großem Vergnügen lese, und es ist hoffentlich auch nicht das letzte. Hier schreibt ein Profi: Auf über 200 Seiten gibt es lesenswerte Geschichten, Tourenvorschläge und Gastro-Tipps vom bewährten Gespann Schlicher (Text) und Himmer (Fotos). Ein rundum gelungenes Lesebuch, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte,


Lesen! Und zwar unbedingt und sofort!

Sonntag, 22. Mai 2022

DuMont Bildatlas - Pfalz

Fünf Jahre sind seit der letzten dieser Region gewidmeten Ausgabe aus der Reihe der Bildatlanten des DuMont-Verlags vergangen. Vieles hat sich in dieser Zeit geändert, Manches ist neu dazu gekommen und Einiges auch verschwunden. Für den Verlag Grund genug, eine neue Auflage zu wagen. Wer aber jetzt glaubt, dass er hier lediglich eine um ein paar geänderte Adressen oder Fahrpläne aktualisierte Neuauflage des alten Heftes erhält, der wird angenehm überrascht sein: Das Ding ist, anders als sein Vorgänger, eine völlige Neukonzeption. Neue Texte, neue Bilder, neue Ideen. Als Reiseführer versteht sich der Bildatlas vermutlich nicht. Ich sehe darin eher die Abendlektüre in der touristischen Unterkunft. So kann man nach Lust und Laune planen, was man am nächsten Tag besuchen geht oder fährt. Da stören auch gelegentliche Überschneidungen und Dopplungen nicht, denn dieses Heft ist wohl eher zum Schmökern gedacht denn zum einmaligen Durchlesen. Die wunderschönen Bilder tun ein Übriges: Sehr zu empfehlen und zwar ohne „Wenn“ und „Aber“!

Samstag, 21. Mai 2022

Philipp Möller: isch geh Schulhof

Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers

Dieses Buch liegt schon seit einiger Zeit auf meinem „noch zu lesen“ Stapel in der Küche herum. Neulich ist es mir beim Aufräumen in die Hände gefallen. Warum hatte ich das denn nochmal gekauft? Von Lästerbüchern über das deutsche Schulsystem, insbesondere über den deutschen Lehrkörper, hatte ich nämlich eigentlich die Nase voll. Erst neulich habe ich eines in die Ecke gepfeffert und nicht zu Ende gelesen, in dem eine ehemalige Aushilfslehrerin sich herablassend über meine KollegInnen und mich geäußert hat.

Ach so: Philipp Möller! Der sympathische Autor ist mir bereits aus einem anderen Zusammenhang bestens bekannt. Der arbeitet doch für die von mir so geschätzte Giordano-Bruno-Stiftung für eine religionsfreie Gesellschaft und hat auch schon zu diesem Thema Bücher veröffentlicht. Der hat mal als Lehrer gearbeitet? Kann man also mal reinschauen.

Was sich zunächst anliest wie eine stark verdichtete Sammlung von Anekdoten aus dem Umfeld des deutschen Hartz-IV-Adels und bildungsferner Immigrantenfamilien, lässt einem noch innerhalb des ersten Kapitels das Lachen im Hals stecken bleiben. Auch die zunächst karikaturenhaft wirkenden Lehrerpersönlichkeiten werde bald genauer dargestellt und entpuppen sich als entweder hoffnungslos überarbeitete bzw. überforderte Menschen im Kampf gegen Windmühlenflügel, oder es handelt sich um einige wenige hochmotivierte Pädagogen, die für das was sie leisten eigentlich viel zu schlecht bezahlt werden. Möller erlebte am eigenen Leib den aufreibenden Alltag und konnte bereits am Ende seiner zwei Jahre als Lehrer nachvollziehen, was einen in diesem Beruf zermürben kann. Krank ist vor Allem das hoffnungslos veraltete Schulsystem, das den veränderten Anforderungen und vor Allem den Kindern nicht mehr gerecht werden kann, und krank werden so auch die Lehrerinnen und Lehrer.

Ein sehr gutes Buch! Lesen, und zwar unbedingt und sofort.

Montag, 9. Mai 2022

Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof

Die Biografie

Über dieses 2009 erschienene Buch habe ich irgendwo gelesen. Anders als es bei älterem Lesestoff sonst der Fall ist, habe ich es nicht gebraucht besorgt, sondern von meinem Bücherdealer ordentlich beim Verlag bestellen lassen. Ich glaubte, dass ich der Autorin noch etwas schulde. Am Anfang der 80er bin ich oft per Anhalter gefahren. Dabei hat mich in der Nähe von Bonn einmal ein Pärchen mitgenommen, in dessen weiblichem Teil ich Frau Ditfurth zu erkennen glaubte. Ihren Vater Hoimar von Ditfurth bewunderte ich zu diesem Zeitpunkt wegen seiner wegweisenden Wissenschaftssendung „Querschnitte“ schon seit einem halben Jahrzehnt, sie war mir als Gründungsmitglied dieser neuen Partei „Die Grünen“ inzwischen aber ebenfalls vertraut aus den Medien. Naturgemäß sieht man als Tramper die Fahrerin und den Beifahrer nur von hinten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es war. Sie meckerte noch ein Wenig, weil wir an einer denkbar ungünstigen Stelle den Daumen rausgehalten hatten, aber sie hat mich und meinen Freund mitgenommen und ordnungsgemäß an einer Bushaltestelle in der Nähe des Kanzleramts wieder rausgelassen. Wir waren quasi starr vor Ehrfurcht. Diese Schuld ist jetzt beglichen! So sieht’s aus, Frau Ditfurth.

Ich schweife schon wieder ab, es soll doch um dieses gute Buch gehen. An dessen Ende findet sich ein dicker Anhang mit dedizierten Quellennachweisen. Alle Aussagen in diesem Buch lassen sich belegen, so versichert die Autorin, auch wenn rund 1000 der verwendeten Quellen privat bleiben müssen und nicht im gedruckten Quellenverzeichnis zu finden sind. Es wundert mich nicht, dass hier das Ergebnis von sechs Jahren Recherchearbeit vor mir liegen. Das ist wichtig, denn die Autorin macht handfeste Aussagen nicht nur zu den objektiv dokumentierten Handlungen der Frau Meinhof, sie stellt auch gut begründbare Thesen zu ihrer Motivation auf. Es ist also ein Buch, welches nicht nur die Biografie der ehemaligen Top-Terroristin nachzeichnet, sondern auch erklärt wie es dazu kam. 

Und darum geht es. Das Buch soll nicht nur den Lebensweg von Frau Meinhof und die Ereignisse um die Studentenbewegung der späten 60er Jahre beschreiben, es soll auch erklären und deuten. So beginnt das Werk mit der Kindheit und den Ereignissen, die einen Menschen schon früh prägen und beeinflussen. Dadurch werden spätere Entscheidungen verständlicher, bestimmte Haltungen überhaupt erst plausibel. Die Kindheit in der Kriegs- und Nachkriegszeit, frühe Erfahrungen mit dem anderen und dem eigenen Geschlecht (bzw. die Unterdrückung dieser Erfahrungen) oder das Aufwachsen in einer Bundesrepublik, deren Repräsentanten teilweise noch das Blut aus der Nazidiktatur an den Händen klebte. Diese Liste der von der Autorin beleuchteten Einflussfaktoren ließe sich lange fortführen.

Wer immer schon einmal wissen wollte, warum eine junge, intelligente, gebildete, beruflich erfolgreiche und durchaus sympathische Frau zu einer der meist gesuchten und meist gejagten Personen der Zeitgeschichte werden konnte, zu einer Person, die schließlich von ihren Häschern systematisch zerbrochen und zerstört wurde: Mit dieser Biografie werden viele Rätsel gelöst und viele Fragen beantwortet. In sachlichem, fast dokumentarischen Stil schildert Frau Ditfurth das Leben und Sterben von Ulrike Meinhof und rührt trotz ihrer nüchternen Sprache immer wieder zu Tränen. 

Ein herausragendes Buch. Lesen, und zwar unbedingt und sofort!