Sonntag, 13. Januar 2019

Mary Wollstonecraft Shelley: Frankenstein

oder: Der moderne Prometheus

Dieses Buch ist zwar sicher ebenso oft verfilmt worden wie der Horrorklassiker Dracula. Trotzdem, oder vielleicht sogar gerade deshalb, ist seine Handlung den meisten Menschen unbekannt. In den Verfilmungen sieht man kreischende, fliehende Bauern auf dem Rückzug oder die gleichen Komparsen mit Dreschflegeln, Fackeln und Forken bewaffnet als wütenden Mob auf dem Weg zum Schloß derer von Frankenstein. Ein riesiges, aus Leichenteilen zusammengenähtes humanoides Monster stapft unbeholfen durch's Bild und ruft "Ich bin ein Mensch!"

Schnitt!

Vergessen Sie derlei oberflächlichen Irrsinn. Es geht in diesem kunstvoll konstruierten Roman um ganz andere Welten, nämlich vor allem um die Innenwelten Victor Frankensteins und seiner Kreatur. Es geht um die Qualen, denen beide ausgesetzt sind. An Frankenstein nagen die Gewissensbisse ob seiner frevelhaften Schöpfung und der Gefahr, die er damit über die Menschheit gebracht hat. An seiner Kreatur zehrt die Verzweiflung eines von der Veranlagung her zutiefst friedlichen und liebevollen Menschen von dem Augenblick an, als er zum ersten Mal voller Entsetzen sein eigenes Gesicht im Spiegel betrachtet. Ihm wird seine zu erwartende Einsamkeit bis in den Tod gegenwärtig.

Leichenteile, Schlösser und mit landwirtschaftlichen Geräten bewaffnete Bauern kommen in dem Roman überhaupt nicht vor.

Lesen Sie dieses phantastische Buch!

Mittwoch, 2. Januar 2019

Bram Stoker: Dracula

Dieses Buch ist so oft verfilmt worden, dass sicher jeder in groben Zügen die Handlung kennt. Ich erinnere nur an die grauenvoll schlechten Verfilmungen mit Christopher Lee, die ganz gewiss nicht wegen Lee so schlecht waren. Der gut aussehende und talentierte Schauspieler war durch die Reihe der "Dracula"-Spielfilme lange Zeit ausschließlich auf Filmbösewichter festgelegt. Was für ein hervorragender Darsteller er war, zeigte sich erst in viel späteren Filmen. Ich darf aber auch ganz ausgezeichnete Verfilmungen ins Gedächtnis rufen, die zum Beispiel mit Max Schreck, Klaus Kinski oder Gary Oldman in den Titelrollen gelungen sind. Deshalb verzichte ich an dieser Stelle auf einen Anriss des Plots.

Endlich hatte ich die Zeit, diesen Klassiker noch einmal zu lesen. Ich erinnerte mich noch daran, diesen als junger Mann ganz gut gefunden zu haben, wusste aber nicht mehr so recht, warum eigentlich. Die seltsame Form war mir aufgefallen. Der Roman kommt im Gewand einer Sammlung von verschiedenen Dokumenten daher: Tagebucheinträge, Zeitungsausschnitte, Briefe, medizinische Berichte und Telegramme werden kommentarlos aneinander gereiht und erzeugen so eine mitreißende Authentizität innerhalb einer für sich genommen ziemlich unglaubwürdigen Geschichte. Außerdem zwingt der ständige Perspektivwechsel den Leser, die Positionen der unterschiedlichsten Protagonisten einzunehmen. Das macht ihre Handlungen gut nachvollziehbar.

Bram Stoker hat sieben Jahre an seinem Hauptwerk gearbeitet und das merkt man auf jeder Seite. Die Handlung ist sehr aufwändig konstruiert. Alle geographischen Details hat der irische Schriftsteller akribisch recherchiert und deshalb macht es großen Spaß, den Roman mit einem neben sich liegenden, aufgeschlagenen Atlas zu lesen. Angeblich stimmen sogar die Fahrpläne der benutzten Verkehrsmittel. Einzig das Frauenbild des 19. Jahrhunderts nervt etwas, auch wenn es von Stoker mit der klugen Heldin Mina Harker durchaus angekratzt wird.

Ein unglaublich gutes Buch, ein Klassiker der phantastischen Literatur. Wer's noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt tun.