Sonntag, 23. Mai 2010

Lilo Beil: Maikäfersommer

Die fünfziger und frühen sechziger Jahre galten später als Gipfel vergangenheitsverdrängender Spießigkeit. Darin liegt sicher eine Menge Wahrheit. Aber das ist nur ein Aspekt des Zeitgeistes. Eine andere Facette wird in diesem Buch deutlich, in dem Frau Beil in siebenundzwanzig Kurzgeschichten ihre Kindheitserinnerungen lebendig werden lässt: In den Fünfzigern konnten Kinder noch auf der Straße spielen und es wurde auch noch gespielt und nicht ferngesehen. Landschaften waren noch nicht völlig verbaut und zersiedelt, es gab noch Fantasie und auch kleine Geschenke waren etwas Besonderes auf das sich ein Kind monatelang freuen konnte. Kinder lasen noch Bücher - freiwillig - und es gab noch Maikäfer.

Ein wunderschönes und poetisches kleines Buch. Man kann es Kindern vorlesen oder sich selbst daran erfreuen, beides ist möglich. Schade, dass es nur noch antiquarisch zu erstehen ist.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Lilo Beil, Walter Landin, Wolfgang Ohler: mörderische Pfalz

"Die Pfalz (...), sollte sie wirklich so mörderisch sein?" fragt Heinz Georg Bamberger, Staatsminister der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz, in seinem Vorwort. Er beantwortet diese Frage mit nein. Ich denke: Wenn man die lange Zeitspanne betrachtet, die die drei Autoren mit ihren zwanzig Kurzgeschichten abdecken, dann würde es mich wundern, wenn nicht noch mehr Verbrechen geschehen wären, in diesem idyllischen und von der Sonne verwöhnten Landstrich. So bizarr, ja grausam und teilweise kafkaesk wie in diesem Buch ist die Wirklichkeit dann aber hoffentlich doch nicht. Theodor Fontane und Edgar Allan Poe hätten ihre Freude an diesen Erzählungen.

Eindeutiges Urteil: Daumen hoch, fünf Sterne, unbedingt lesen!

Mittwoch, 12. Mai 2010

Lilo Beil: Schattenzeit Geschichten

Dieses kleine Bändchen enthält neunzehn Kurzgeschichten, die im Zusammenhang mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stehen. Erzählt wird aus der Perspektive von Kindern bzw. in Form von Kindheitserinnerungen: Schulkameradinnen, die plötzlich verschwinden, Ladengeschäfte, in denen man nicht mehr einkaufen darf oder der jüdische Klavierlehrer, der eines Tages mit seiner Frau zusammen in den Freitod geht, um dem Grauen der Lager zu entgehen. Im zweiten Teil finden dann aber auch Geschichten von Annäherung und Versöhnung ihren Platz.



Auch wenn ich an anderer Stelle behauptet habe, dass Kurzgeschichten nicht mein Ding sind: Diese sind es definitiv. Ich habe die Schattenzeit-Geschichten während meines inzwischen traditionellen sonntäglichen Frühstücksrituals auf dem Neustadter Marktplatz begonnen. Es war ein sonniger Frühlingsmorgen, die Menschen lächelten, wie sie es in Neustadt nun einmal tun wenn der erste schöne Frühlingstag auf den Marktplatz einlädt. Ich wusste ja noch nicht, welches Buch ich da in den Händen hielt. Ich hatte mit Kriminalgeschichten gerechnet und mit angenehmem Krimigruseln. Schon nach wenigen Seiten war ich aber derart in die beklemmende Stimmung ihrer Geschichten abgetaucht, dass ich vor meinem geistigen Auge die wunderschön restaurierten Häuserfassaden Neustadts mit den historischen Fotos aus den Büchern des Herrn Berzel verglich, die in meinem Kopf gespeichert sind. Da hängt dann über dem Handyladen eben nicht das farbenfrohe Logo eines Funknetzbetreibers, sondern eine Holztafel, auf der in schnörkeligen Buchstaben "Colonialwaren" geschrieben steht. Mir kam es fast so vor, als würde sich meine Umgebung in Sepiatönen einfärben, als reise ich in einer Zeitmaschine.

Wer wie ich in den sechziger Jahren mit einem derart vorbelasteten Vornamen getauft wurde, der setzt sich frühzeitig und intensiv mit der braunen Vergangenheit Deutschlands auseinander. In dieser Beziehung habe ich ein recht frühes Ende der Kindheit hinter mir. Auch wenn das eigentliche Grauen des Völkermordes in ihrem Buch gar nicht direkt thematisiert wird, so weiß ich einfach genug, dass auch Andeutungen und leise Anspielungen ausreichen, um in mir eine bestimmte Saite zum Klingen zu bringen. Als dann noch eine Wandergruppe mit schweren Bergschuhen vorbei ging - wohl nur zufällig im Gleichschritt - hatte ich zu den Bildern im Kopf auch noch die passende Geräuschkulisse. Ich musste das Buch weglegen und habe es später zuhause fertig gelesen.

Ich wünsche diesem tollen Buch noch viele Leser.

Sonntag, 9. Mai 2010

Harald Schneider: Erfindergeist

Alarmstufe rot in Schifferstadt: Das Haus von Reiner Palzkis Freund Jaques Bosco ist in die Luft geflogen, die genetische Analyse der am Ort des Geschehens sichergestellten menschlichen Fetzen lässt nur einen Schluss zu: Jaques ist tot. Palzki lässt es sich trotz seines Urlaubs nicht nehmen, die Ermittlungen selbst in die Hand zu nehmen. Dabei kann er sogar auf das Verständnis seiner Frau Stefanie hoffen, auch sie sah in dem Erfinder einen väterlichen Freund.
Die Nachforschungen führen Palzki in den Holiday Park in Haßloch und zu einem dubiosen Verein in Speyer. Bald gibt es weitere Tote.

Hier rächt es sich, dass ich die Romane des Herrn Schneider nicht in der richtigen Reihenfolge gelesen habe: Ausgerechnet um Jaques Bosco dreht sich die Geschichte, sonst ist der eher eine größere Nebenfigur in den Palzki-Romanen. Deshalb habe ich mir mit meinem Wissen aus dem Roman "Wassergeld" ein Wenig die Spannung verwässert. Aber ich bin ja inzwischen Leseprofi genug, um so etwas zu kompensieren - ich stelle mich einfach doof und lese weiter ;-)

Spannung gibt es reichlich in diesem Buch, das ich mal wieder (fast) in einem Rutsch in mich hineingefressen habe. Der Autor führt uns durch einen Plot, der durchaus James-Bond-Elemente in sich trägt: Geheimdienstler geben sich die Klinke in die Hand, ein "nutty professor" ist auch mit dabei und last but not least kitzelt auch der völlig unfähige Dienststellenleiter immer wieder die Lachmuskeln.

Noch etwas sei gesagt: Wer als nicht-Pfälzer die Palzki-Krimis liest, sollte sich auf jeden Fall vor dem Genuss die Hörbeispiele auf der Webseite des Autors herunterladen und anhören. Das verändert die Wahrnehmung deutlich. Bisher hielt ich die Dialoge immer für etwas "hölzern". Das lag aber nur daran, dass ich sie immer hochdeutsch gedacht habe. Herr Schneider liest seine Geschichten aber mit pfälzischer Dialektfärbung vor. Mit diesem wunderbaren Zungenschlag funktionieren die Dialoge auf einmal, nichts hölzernes oder künstliches haftet ihnen mehr an. Hat man das einmal verstanden, kann man das Buch gar nicht mehr Hochdeutsch lesen.


Unbedingt lesen!

Sonntag, 2. Mai 2010

Lilo Beil: Die Kinder im Brunnen

Lisa Bredow, eine stille und von ihren Schulkameraden wenig geliebte Schülerin der siebten Klasse, verschwindet zunächst, und wird schließlich ermordet in einem Dorfbrunnen aufgefunden. Der erste Verdacht fällt nach dem Auftauchen eines anonymen Flyers auf ihren Kunstlehrer, der jedoch völlig unschuldig ist. Von seinen Kollegen vorverurteilt und angefeindet flüchtet der sich in Krankheit und wird schließlich ebenfalls ermordet. Charlotte Rapp, Lisas Deutschlehrerin, verfügt über vage Informationen, denen sie zunächst auf eigene Faust nachgehen möchte, bevor erneut eine Person unter falschen Tatverdacht gerät. Dieses Vorgehen stellt sich bald als lebensgefährlich heraus.

Der Roman von Lilo Beil erzählt nicht nur einen spannenden Kriminalfall, er klärt auch ohne Umschweife über die wachsende Gewaltbereitschaft, Verrohung und Mobbing unter Jugendlichen auf. Ihre Schilderungen aus dem alltäglichen Horror der Opfer von jugendlicher Gewalt sind nicht ohne Grund so authentisch und glaubwürdig. Frau Beil war selber für Jahrzehnte im Lehrerberuf tätig. Deshalb ist auch ihre Darstellung der verschiedenen Lehrerpersönlichkeiten differenzierter und realistischer als alles was ich in diesem Zusammenhang jemals gelesen habe.

Danke Frau Beil.

Lesen!