Mittwoch, 29. August 2012

Judith Merchant: Loreley singt nicht mehr

Vater Rhein ist alt geworden. Eingezwängt in ein Betonkorsett hat er viel von seiner einstigen Größe und Kraft eingebüßt. Nur ein-, zweimal im Jahr, wenn seine Nebenflüsse bei lang anhaltenden Regenfällen oder Schneeschmelze anschwellen, erhebt er sich und gewinnt vorübergehend seine alte Macht zurück. Dann reißt er vieles mit sich, was ursprünglich nicht für ihn bestimmt ist: Gartenhäuser tanzen dann auf seiner silbrigen Oberfläche, Fahrräder werden weggespült, Baumstämme treiben dahin. Und ab und zu eben auch ein Mensch. Den umschlingt er dann mit seinen nassen und kalten Armen und lässt ihn erst einmal nicht mehr los.

Kommissar Jan Seidel wird mit der Lösung eines seltsamen Falles beauftragt: Eine Leiche wurde nachts an Land gespült. Sie liegt nun, mit mehreren Dutzend Knicklichtern gelbgrün illuminiert als bizarr dekoriertes Treibgut an einer Buhne und wartet darauf, von der Spurensicherung untersucht zu werden. Eine flüchtige Begutachtung der Situation lässt zunächst an einen Selbstmord denken, doch Seidel merkt schnell, dass er tiefer in den Fall eindringen muss. Zu viele Details sind nicht stimmig, zu viele Widersprüche machen diese erste Hypothese unglaubwürdig.

Frau Merchant erzählt einen komplizierten Kriminalfall, der mit vielen Hinweisen und Spuren zum Mitknobeln anregt. Immer wieder glaubt man, eine Lösung vor Augen zu haben, aber dann wird man doch wieder überrascht und blickt in noch einen tieferen Abgrund. In diesem sprachlich ausgefeilten und spannenden Roman fehlt nichts, was einen guten Krimi ausmacht.

Unbedingt lesen, und zwar sofort!

Freitag, 17. August 2012

Harald Schneider: Pilgerspuren

Bei einem privaten Besuch im Dom zu Speyer rettet Kriminalhauptkommissar Reiner Palzki zwei ihm bis dahin unbekannten Personen das Leben. Ohne Palzkis Hilfe wären sie von einem schweren Gegenstand erschlagen worden, den man offensichtlich mit Absicht von der Orgel heruntergeworfen hat. Und so schlittert der zerstreute Polizist unversehens in die Ermittlungen eines Falls, in dem es erfreulicherweise (noch) keinen Toten gegeben hat. Um sich in den Gebäuden des bischhöflichen Ordinariats, des kirchennahen Verlags Peregrinus sowie dem Dom selbst freier bewegen zu können, wird ihm bei den Ermittlungen ein ranghoher Kirchenmitarbeiter zur Seite gestellt. Palzki entdeckt viel für ihn Neues unter den Dächern der Kirche und deckt sogar einen peinlichen, kleinen Skandal auf. Doch im Fall selbst kommt er zunächst nicht weiter. Irgendwann hat er die entscheidende Idee, mit der er alle losen Fäden verbinden und den Attentäter überführen kann.

Auch in diesem Roman des Herrn Schneider kommt das Zwerchfell nicht ungeschoren davon. Immer wieder tritt Palzki im kirchlichen Umfeld wegen seiner dürftigen Halbbildung in Fettnäpfe. Seine ungesunden Essgewohnheiten (Liebe Kinder: Bitte nicht nachmachen!) sind teilweise ebenso zum Brüllen wie die von seinem Nachwuchs verursachten Peinlichkeiten. Schließlich taucht auch noch der verlorene Sohn seiner nervigen Nachbarn auf. Trotz jahrelangen Aufenthalts in der Berliner Punkerszene ist der ein waschechter Pfälzer geblieben, zumindest sprachlich. Palzkis frühreife Tochter ist augenblicklich verwirrt. Ob Dr. Metzger da helfen kann?

Als Bonus legt Harald Schneider noch einen Rätselkrimi und eine Kurzgeschichte bei - was will man mehr? Ein lustiges Buch!

Lesen!

Mittwoch, 8. August 2012

Terry Pratchett: Der Club der unsichtbaren Gelehrten

Trevor und Nutt leben ein bescheidenes Leben als Kerzentropfer in den unterirdischen Gewölben der Unsichtbaren Universität von Ankh-Morpork. Doch beide haben besondere Talente, die im Verborgenen Schlummern. Trevor Likely ist Sohn eines legendären Straßenfußballspielers und hat einiges an Talent für diese ungewöhnlich brutale Sportart geerbt. Da sein Vater jedoch einst bei einem dieser Spiele ums Leben kam, spielt er selbst nicht. Nutt hingegen ist ein Goblin, und als solcher ungewöhnlich belesen. Er ist geradezu ein wandelndes Lexikon und zudem handwerklich äußerst geschickt. Leider gibt es an ihm auch eine dunkle Seite, von der er zunächst jedoch selber nichts weiß. Eines Tages übernimmt er das Training der universitären Fußballmannschaft, und so nehmen ungewöhnliche und wunderbare Ereignisse ihren Lauf.

Die Scheibenwelt des Terry Pratchett ist ein Paralleluniversum, in dem Magie einen ähnlich hohen Stellenwert besitzt wie Naturgesetze. Hier tummeln sich völlig selbstverständlich Zwerge und Trolle zwischen den menschlichen Stadtwächtern, Vampire und Wehrwölfe leben friedlich mit den Mitgliedern der Diebes- oder Assassinengilde zusammen. Was vordergründig wie ein kindliches Fantasy-Spektakel klingt, ist in Wirklichkeit ein äußerst humorvoller und intelligent geschriebener Roman mit immer neuen, überraschenden Wendungen.

Lesen!