Freitag, 30. Dezember 2011

Carsten Sebastian Henn: In Vino Veritas

Julius Eichendorf ist nicht nur Betreiber der Gaststätte "zur alten Eiche" in Heppingen an der Ahr, er ist auch ein Spitzenkoch mit Sterne-Ambitionen. Und dieser Tage reist der anonyme Michelin-Tester durch die gehobenen Restaurants des Ahrtals, soviel hat sich inzwischen herumgesprochen. Als ob dies noch nicht genug der Aufregung wäre, wird auch noch der beste und bekannteste Winzer der Gegend ermordet aufgefunden. Dessen Frau, eine Großcousine Eichendorfs, wird verdächtigt, in den Mord verstrickt zu sein und bald darauf in Untersuchungshaft genommen. So stolpert der Koch, der eigentlich nur seiner Cousine helfen möchte, bald in den Ermittlungen herum und macht sich dadurch selbst verdächtig. Ein gefährliches Spiel mit dem Mörder und den Ermittlungsbehörden beginnt.

Alle Jahre wieder erhalte ich zu Weihnachten Bücher. "Apollon sei Dank!" möchte man da ausrufen. So kam ich in den Besitz eines Werks dieses mir bisher völlig unbekannten Krimiautoren. Es ist logisch aufgebaut, durchaus originell, spannend erzählt und enthält viel Lokalkolorit meiner alten Heimat an der Ahr. Gewürzt wird der Lesegenuss noch durch eingestreute Rezepte - eine Verbeugung vor Johannes Mario Simmel - und durch ein Finale, welches Agatha Christie sicher gefallen hätte. Wieder einmal einen tollen Schriftsteller entdeckt! Und da der schon sechs Romane in dieser Reihe verfasst hat, hat sich mein Bücherdealer einmal mehr über meinen Besuch gefreut: Ich habe mir die ganze Serie sofort bestellt.

Lesen!

Montag, 26. Dezember 2011

Walter Moers: Das Labyrinth der träumenden Bücher

Rund zweihundert Jahre sind vergangen, seit Buchhaim von einer Feuerkatastrophe heimgesucht wurde. Hildegunst von Mythemetz, zamonischer Literat der Extraklasse, Augenzeuge und Held der Ereignisse, die seinerzeit in der Vernichtung eines Großteils der Stadt mündeten, schrieb dies damals in seinem unsterblichen Werk "Die Stadt der träumenden Bücher" nieder. Nun, nachdem er sich auf der Lindwurmfeste hinreichend von seinem atemberaubenden Erfolg erholt hat, zieht es ihn wieder in das inzwischen neu erstarkte Zentrum zamonischer Kultur. Die Stadt hat sich völlig verändert, und er beginnt eine lange Entdeckungsreise. Doch zunächst läuft ihm ein äußerst unhöflicher Zwerg über den Weg.

Ich kenne die Werke von Walter Moers schon eine ganze Weile. Lange bevor er in seinen Comics die allseits bekannte Figur "Das kleine Arschloch" schuf, amüsierte ich mich in meiner Studentenbude schon über die Abenteuer des kühnen Ritters Heinz, die Zauberbohnen von Heinz-Achmed, das Tier, welches die Farbe wechselt, wenn man es möpt und die Ereignisse am Tag danach. Ich kicherte nicht nur ob seiner drolligen Zeichnungen, sondern vor allem wegen seiner überbordenden Phantasie, mit der er Paralleluniversen zu schaffen in der Lage ist, die ihresgleichen suchen. Als ich dann in einer Buchhandlung sah, dass er angefangen hatte, Romane zu schreiben war ich zunächst skeptisch - genau eine halbe Stunde lang. So lange hatte ich gebraucht, um "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" zu kaufen, nach Hause zu tragen und die ersten Seiten zu lesen. Ich war augenblicklich fasziniert und auch absorbiert von seinem Schreibstil und seiner Geschichte. Ich legte dieses Buch schließlich erst wieder aus der Hand, als ich es fertig gelesen hatte. Seitdem habe ich alle seine Romane geradezu verschlungen, x-mal verschenkt oder meinen Schülern empfohlen, die "13 1/2 Leben" sogar zwei mal vorgelesen. Mal in Auszügen und einmal vollständig.

Wie man unschwer erkennt, habe ich zu Walter Moers Büchern, egal ob nun gezeichnet oder geschrieben, ein geradezu erotisches Verhältnis. Und obwohl dieses Buch wieder einmal meine Erwartungen an die Handlung nicht erfüllt, ändert es an der Liebe zu den Werken des Herrn Moers nichts. Vermutlich gerade deshalb.

Herr Moers: bitte mehr von diesem Stoff! Möge Sie weiterhin das Orm durchströmen, und zwar reichlich!

Unbedingt lesen, und zwar sofort!

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Emmanuel Roudier: Neandertal

 ...und zwar alle drei Bände:
1.  Der Jagdkristall
2.  Der Lebenstrank
3.  Der Anführer der Meute

Langhou ist wegen einer Körperbehinderung als Jäger eine ziemliche Niete. Aber da er Steinwaffen herstellen kann wie kein anderer, ist er für seine Sippe trotzdem ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft. Als sein Vater bei der Jagt auf ein riesiges schwarzes Bison getötet wird, beschließt er, Rache an dem Tier zu üben - eine Aufgabe, an der bisher selbst die besten Jäger scheiterten. Außerdem wird er Zeuge eines ungeheuerlichen Komplotts, das er aber nicht beweisen kann. Er muss sich also zunächst auf die Suche nach dem Jagdkristall machen, eine Lanzenspitze mit geradezu legendären Kräften. Und so beginnt seine abenteuerliche und gefährliche Reise.

In Emanuel Roudiers großformatigen Comicbüchern sind die Protagonisten keine evolutionsbiologisch modernen Menschen. Es sind vielmehr unsere nächsten Verwandten, die während der letzten Eiszeit den Kontinent mit uns gemeinsam bewohnten. Schätzte man zu meiner Schulzeit die intellektuellen und kulturellen Fähigkeiten dieser Menschenart noch gering ein, so sieht es die moderne Wissenschaft heutzutage völlig anders. Funde von Kultstätten der Neandertaler sowie ihre Werkzeuge und Waffen sprechen einfach eine andere Sprache. Folgerichtig sind die Helden dieses opulenten Steinzeitepos auch keine tumben Halbaffen, die sich grunzend und mit primitiven Keulen um das erlegte Wild streiten. Es sind vielmehr Menschen mit Empfindungen, Sprache, handwerklichen Fähigkeiten und komplexen sozialen Interaktionen. Sie haben Kenntnisse in Naturheilkunde und verfügen über spirituelle Denkmodelle.

Dementsprechend vielschichtig und spannend ist die von Roudier erzählte Geschichte. Die trotz zurückhaltender Farbgebung prächtig gestalteten Doppelseiten der Bücher runden den Lesegenuss dieses eiszeitlichen Roadmovies ab. Ein Comicabenteuer, das zu lesen ich unbedingt empfehle, und zwar auch und ganz besonders Erwachsenen.

Ein Wort noch: Kaufen Sie Comicbücher! Und beachten Sie dabei besonders die tollen Werke der europäischen Zeichner. Diese wunderbare Kunstform wird oft aus Unwissenheit gleichgesetzt mit fliegenden Superhelden in Strumpfhosen und deshalb leider immer noch viel zu wenig gewürdigt.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Walter Isaacson: Steve Jobs - Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers

Steve Jobs war, und das werden mir sicher auch seine Kritiker bestätigen, eine schillernde und interessante Persönlichkeit. Von seinen Anhängern wurde er wie ein Rockstar gefeiert, während seine Kontrahenten ihn vermutlich am liebsten mit Weihwasser bespritzt hätten, in der Hoffnung, er verbrenne dadurch. Wenige in seiner Branche haben so sehr polarisiert, noch weniger haben derartig viele Innovationen auf den Weg gebracht. Und er war unglaublich erfolgreich. Nachdem die von ihm gegründete Firma ihn vor die Tür gesetzt und er mit NeXT einen weiteren Computerhersteller gegründet und glücklos geführt hatte, bekam er bei Apple eine zweite Chance. Und diese nutze er in einer Art und Weise, die damals niemand für möglich gehalten hätte: Apple ist heute die Firma mit dem höchsten Börsenwert weltweit.

Isaacson begleitete und interviewte Jobs und seine Familie in den letzten Jahren seines Lebens und brachte dadurch noch einige andere Seiten des Apple-Gründers zum Vorschein: Er war ein Musikliebhaber, der Bob Dylan und die Beatles schätzte. Er war bewandert in Zen-Buddhismus und fanatischer Veganer. Gleichzeitig galt er als ein despotischer und überaus launischer Manager, der die Wirklichkeit so nachhaltig ausblenden konnte, dass Isaacson dafür in Anlehnung an das Star-Trek-Universum den Begriff des "Reality Distortion Field" geprägt hat. Gemeint ist Jobs Fähigkeit, die Realität konsequent zu ignorieren, gleichsam zu verzerren und um sich herumzuleiten. Einerseits ermöglichte dies, sich vollends und ohne jede Ablenkung auf ein gesetztes Ziel zu fokussieren. Andererseits konnte er damit auch Firmen in den Ruin und Mitarbeiter in den Wahnsinn treiben. Es ermöglichte ihm, Produkte nach seinen Vorstellungen zu entwickeln, völlig unabhängig von technischer Machbarkeit oder Marktstudien. Die technische Machbarkeit mussten seine Ingenieure nachliefern - nicht immer ein leichtes Unterfangen - den Markt eroberte er schließlich mit seinen charismatischen Auftritten zur Produktpräsentation.

Gerade diesen Aspekt seiner Persönlichkeit, dieses "Reality Distortion Field", beleuchtet Isaacson von allen Seiten. Letztendlich führte es wohl auch dazu, dass Jobs trotz gegenteiliger ärztlicher Ratschläge zunächst versuchte, seine schwere Krebserkrankung mit diversen Naturheilverfahren zu bekämpfen. Ob er bei anderer Behandlung seinen Krebs noch hätte besiegen können, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber die Vermutung liegt zumindest nahe.

Als aufmerksamer Konsument von diversen Publikationen aus dem IT-Bereich waren mir natürlich nicht alle Inhalte dieses Buches gänzlich neu. Trotzdem erscheinen mir jetzt viele Zusammenhänge klarer. Die Apple-Firmenphilosophie versteht man nach diesem Buch auf jeden Fall besser - ob man diese Philosophie nun mag oder nicht.

Ich sag's mal so: Lesen!
Wer sich für Management und/oder IT interessiert: Unbedingt lesen!
Wer Apple-Fanboy oder-girl ist: Lesen, und zwar sofort!

Dienstag, 29. November 2011

Wolfgang Faßbender (Hrsg.): Pfälzer Restaurantführer

Der Untertitel "154 ausgewählte Empfehlungen für alle Genießer und Liebhaber regionaler Küche" sagt eigentlich alles: Hier soll kein Koch in die Pfanne gehauen werden, kein Gastronom in Grund und Boden kritisiert. Die Gastronomie ist nämlich ein hartes Brot. Einen guten Ruf muss man sich hier sehr mühsam erarbeiten, und der ist dann ganz leicht zu zerstören. Deshalb werden auch nur Empfehlungen ausgesprochen, wenn auch auf unterschiedlichen Niveaustufen. Das geschieht mit kurzweilig zu lesenden Texten, aussagekräftigen Fotos und einem Bewertungssystem für die Bereiche Küche, Ambiente, Service und Weine. Die schlechteste Bewertung wird nirgendwo ausgesprochen, das finde ich sehr erfreulich. Vermutlich wurden Gaststätten, die dem Autorenteam nicht zusagten, einfach nicht besprochen.

Dennoch liest man gelegentlich auch Verbesserungswünsche. Dabei kritisieren die Autoren stets konstruktiv, ja fast liebevoll. Man könnte auch sagen: Hier wird auf sehr hohem Niveau genörgelt.
Natürlich schmökert man ein solches Buch nicht in einem Rutsch durch wie einen Krimi. Es ist eher zum gelegentlichen Durchblättern geeignet und zum gezielten Nachschlagen. Mir hat es gut gefallen, und ich empfehle jedem Besucher oder Bewohner der Pfalz diese appetitanregende Anschaffung.

Sonntag, 27. November 2011

Stadtverwaltung Neustadt, Gerhard Berzel (Hrsg.): Neustadt an der Weinstraße in alten Postkarten und Ansichten

Dass ausgerechnet im Jahr 1980 ein Buch auf den Markt gebracht wird, welches das soeben zerstörte alte Neustadt von seiner besten Seite zeigt, ist schon ein kleines Bisschen ironisch. Das Vorwort dieses Buches allerdings, von niemand anderem als dem damaligen Chef-Flächensanierer und Neustadter Oberbürgermeister Wolfgang Brix höchstpersönlich verfasst, ist an Zynismus kaum noch zu überbieten.
Es kommt mir vor, als würde uns hier einer der Hauptverantwortlichen dieses denkmalschützerischen Kahlschlags eine lange Nase drehen.
Wie dem auch sei: Die Bildauswahl des Herrn Berzel ist hervorragend, fast alle hübschen und ehemals hübschen Ecken der Altstadt sind in dem Buch vertreten. Schade, dass dieses schöne Buch nur noch antiquarisch zu erstehen ist.
Wer als Neustadter die Gelegenheit erhält, seiner habhaft zu werden, der sollte unbedingt zugreifen.

Samstag, 19. November 2011

Waldemar Lyszio: Lust auf Neustadt

Der seit 60 Jahren in Neustadt lebende Autor wagt ein Experiment: Er kombiniert historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv Neustadt mit aktuellen Fotografien der Stadt in Form von verblüffenden Fotomontagen. Erst durch die Montage werden Lagebziehungen von verschwunden Teilen der historischen Altstadt deutlich. Erst durch diesen Trick wurde mir das ganze Ausmaß der Zerstörung meiner Wahlheimat, v. A. in den 70er Jahren, ganz bewusst. Aber dieses Buch ist nicht nur eine Anklage. Es zeigt auch Perspektiven auf und ist somit ein leidenschaftlicher Appell an die zuständigen Stadtplaner, sich von historischen Gegebenheiten inspirieren zu lassen. Als Beispiel sei hier der behutsamen Rückbau der Verrohung des Speyerbachs genannt, der heute ja nur noch ein kümmerliches Dasein als Kanalbewohner fristet.

Ein schönes und wichtiges Buch, dass ich jedem Freund dieser immer noch schönen Stadt wärmstens empfehlen möchte. Und zwar nicht nur, weil mein Mopped drin vorkommt ;-)


Hier seien wieder einmal ein paar Zeilen in eigener Sache erlaubt:
Wer das Datum dieses Eintrags mit dem des letzten besprochenen Buches vergleicht, dem fällt vielleicht die für meine Verhältnisse recht große Zeitspanne zwischen diesen beiden Einträgen auf. Nur damit sich niemand Sorgen macht: Ich lese immer noch viel, bin immer noch der alte Bücherfresser. Leider habe ich aber neulich bei einem Spontankauf in einer Bahnhofsbuchhandlung einen Schmöker erwischt, den langweilig zu nennen wohl noch geschmeichelt wäre. Viel zu lange habe ich mich mit diesem Werk herumgequält, bevor ich mir eingestanden habe, dass ich es nicht zuende lesen werde. Nur der Anstand und mein selbst gefasster Vorsatz, hier keine Verrisse zu schreiben, verbieten es, den Titel des Buches hier an den Pranger zu stellen. Danach habe ich mir die spannende und sehr umfangreiche Biographie von Steve Jobs vorgenommen. Doch das braucht halt seine Zeit. Zwischendurch werde ich immer wieder mal etwas von mir hören lassen, indem ich kleinere oder weniger textlastige Bücher bespreche.

Samstag, 8. Oktober 2011

Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin

"Fußball ist eine Krankheit, die über die Welt gekommen ist. Die Eleganz, die Grazie, die Intelligenz dieses Spiels ist ein Gerücht, das sich tagtäglich im Fernsehen als bloßes entlarven lässt. Es braucht auch nicht zu verwundern, dass selbst hochbezahlte Profis sich am Spielfeld und anderswo auf die schändlichste Weise benehmen und vor aller Augen Tätlichkeiten begehen. Das Begehen dieser Tätlichkeiten stellt ja den Sinn dieses Sports dar, wie die dauernden strukturgebenden Unterbrechungen beweisen. Die Spieler einer Mannschaft sind weniger auf das eigene Spiel konzentriert, das eigene Ballvermögen, als auf die Behinderung des Spielflusses des Gegners. Sogenannte geniale Spielzüge, Doppelpässe, Dribbeleien, famose Sturmläufe etc. sind ein Begleitprodukt, ein aus dem Handlungszwang der ballbesitzenden Mannschaft resultierendes Ornament. Die eigentliche Aktion allerdings geht immer von jenem Team aus, welches sich eben nicht im Ballbesitz befindet. Wenn ein Tor entsteht, dann dadurch, daß ein angreifender Spieler nicht rechtzeitig gefoult wurde. Die einzige Raffinesse besteht im Fußball darin, Gemeinheiten zu begehen, sich aber nicht erwischen zu lassen, beziehungsweise vorzutäuschen, Opfer einer solchen Gemeinheit geworden zu sein. Fußball spiegelt die leidenschaftlich-kriminelle Verankerung des Menschen wider."

Lilli Steinbeck, die schöne Polizistin mit der Klingonennase ist wieder da. Also eigentlich war sie immer schon da, war aber in dem bizarren Krimiuniversum des Herrn Steinfest zeitweise nicht sichtbar. Gerüchten zufolge wurde sie entführt und gefangen gehalten. Folgerichtig beginnt der Roman auch in weit zurück liegender Vergangenheit. Er klärt uns darüber auf, wie Lilli zu ihrer beeindruckenden Gesichtsverformung und zu einer weiteren, ebenso schlecht heilenden wie unsichtbaren Verwundung gekommen ist. Diese Vorgeschichte verbindet sich über einen großen, mehrere Jahrzehnte umfassenden Bogen mit der Gegenwart der Romanhandlung. Ivo, ein früherer Freund und Liebhaber Lillis, ist inzwischen ein Baumpfleger. Eine international anerkannte Koryphäe auf seinem Gebiet, der in der Regel seinen Pfleglingen nicht mit Säge und Axt zu Leibe rückt, sondern mit der puren Überzeugungskraft des gesprochenen Wortes. Er verständigt sich mit seinen Patienten, überredet sie, in eine andere als die den Straßenbau behindernde Richtung zu wachsen, erklärt ihnen die Notwendigkeit der Abwehr von Schädlingen oder Ähnliches. Wegen dieser besonderen Fähigkeit erhält er einen geheimnisvollen Auftrag, der ihn in die Weiten Sibiriens führt. Dort soll er eine besondere Lärche suchen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln nach Europa bringen. Doch er findet weit mehr: Gemeinsam mit Ivo tauchen wir als Leser ein in ein surreales Science-Fiction-Szenario. Immer wieder fühlt man sich als Leser versetzt in Welten, wie man sie aus Filmen wie Blade-Runner oder Matrix kennt, belgische Comichelden fügen sich in die Erzählung ebenso selbstverständlich ein wie eine sibirische Suppenschamanin. Als Soundtrack empfiehlt sich amerikanische Minimalmusic (John Adams: Short Ride in a fast Machine) und gereicht wird hierzu ein Pilzgericht aus Amanita muscaria. So sieht's aus!

Auf jeden Fall lesen, aber vorher unbedingt anschnallen!

Montag, 3. Oktober 2011

Elke Pistor: Luftkurmord

Ina Weinz hat eine schwere Entscheidung hinter sich. Sie hat sich von der Kripo in der Millionenstadt Köln zur Schutzpolizei ihrer Eifeler Heimat versetzen lassen. Aus der Kriminalhauptkommissarin wurde so eine Polizeihauptkommissarin, die sich aus Ermittlungen zu Kapitalverbrechen in Zukunft herauszuhalten hat. Sie wollte es so. Zu groß war die Belastung durch Schuld, die sie durch Distanzlosigkeit in einem früheren Kriminalfall auf sich geladen hat. Oder zumindest glaubt, auf sich geladen zu haben.
Wegen ihrer Erfahrung und wegen ihres Dienstalters wird sie mit der Ausbildung einer jungen Polizistin betraut, und beide geraten bald in genau so einen Mordfall, in den Ina eigentlich nie mehr hinein geraten wollte. Eine Bekannte von Ina wird leblos aufgefunden. Beweise für eine Fremdeinwirkung liegen noch nicht vor, aber Inas Instinkt schlägt Alarm. So ermitteln beide auf eigene Faust.

Auch der zweite Fall um die Kommissarin Ina Weinz wird getragen von psychologischem Tiefgang. Alle beteiligten Personen haben klare Konturen, werden so als Charaktere ebenso begreifbar wie ihre Motive. Trotzdem steht die Handlung im Vordergrund dieses erfrischend kurzen Romans. Und die ist spannend bis zum Nägelabkauen.

Unbedingt lesen!

Donnerstag, 29. September 2011

Hans Jürgen Sittig: Mordwald

Gerhard Sauter ist wohl das was man einen Baulöwen nennt. Er hat eine große Firma, großen Wohlstand, harte Ellenbogen in der Geschäftswelt und erbitterte Feinde. Und er ist tot. Ganz in der Nähe des Wildschweinansitzes seines Jagdreviers liegt er, mitten im Winter unbekleidet und von Wildschweinhauern grauenvoll zugerichtet. Spuren seines Mörders finden sich keine. Doch einen natürlichen Tod kann Hauptkommissar Wärmland ausschließen. Wildsauen würden einen Menschen nicht attackieren. Jedenfalls nicht so.

Wer beim Lesen eines Krimis auf schnelle Action und offensichtliche Lösungen aus ist, dem kann ich diesen Roman nicht empfehlen. Ganz langsam und behutsam entwickelt Hans Jürgen Sittig seine Protagonisten. Selbst Nebencharaktere erhalten viel Raum, werden so zu greifbaren Personen. Nur schwer kann man sie einordnen in ein schwarz-weißes Raster moralischer Wertungen. Der Psychologie des Verbrechens tut das gut. Nur so versteht man schließlich die Hintergründe, die die Handlung tragen und vorantreiben.

Lesen!

Sonntag, 4. September 2011

Elke Pistor: Gemünder Blut

Kommissarin Ina Weinz wurde vom Dienst suspendiert. In ihrem letzten Fall hatte sie sich emotional kompromittieren lassen, gibt sich die Schuld am Tod eines Verdächtigen. Sie braucht Abstand. Also kehrt sie dem hektischen Treiben in der Großstadt Köln den Rücken, flüchtet sich in die Arme der Familie. Aufs Land. In die beschauliche Eifel.
Kaum dort angekommen wird sie Zeuge, als ein streitbarer Professor auf einem Fest einen alten Jugendfreund von ihr provoziert und anfeindet. Es kommt zu einem Handgemenge, der Professor verlässt die Veranstaltung, doch am nächsten Tag findet man ihn ermordet und kahlgeschoren neben einem Bach. Inas Freund wird als Verdächtiger verhaftet, und bald steckt sie wieder mittendrin in einer Ermittlung. Es wird gefährlich, denn sie ist viel tiefer in den Fall verstrickt, als sie ahnt.

Eine psychologisch einfühlsam erzählte Kriminalgeschichte. Auch wenn man irgendwann ahnt, wo der Täter zu suchen ist, verliert das Buch bis zur letzten Seite nicht an Spannung. So soll ein guter Krimi sein.

Lesen!

Dienstag, 23. August 2011

Rafik Schami: Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte

Wer bei einem Buch des syrischstämmigen Erzählers bezaubernde Geschichten erwartet, der vermutet auch bei diesem Werk nichts Falsches. Aber hier geht es um mehr. Um viel mehr. Rafik Schami erklärt uns nicht nur, wie das mündliche Erzählen funktioniert und warum er dieser ältesten Form der Literatur sein Leben gewidmet hat. Er beklagt auch den Mangel an kulturellem Selbstbewusstsein vieler arabischer Schriftstellerkollegen und klagt schließlich schlechte Übersetzer auf das Schärfste an. So funktioniert Literatur eben nicht, so werden Erzählungen ihrer Seele beraubt. Seine Erzählungen funktionieren. Das weiß ich schon lange! Und deshalb würde ich ihn zu gerne einmal bei einem seiner Erzählabende persönlich kennenlernen und erleben. Bis dahin muss ich mich wohl mit seinen Büchern begnügen. Die sind derart herausragend, dass ich sie hiermit dringend zu lesen empfehlen möchte.

Sonntag, 14. August 2011

Cody McFadyen: Die Blutlinie

"Ich bin dem schwarzen Zug, wie ich ihn nenne, während meines ersten Falles begegnet. Er ist schwierig zu beschreiben. (...) Er fährt auf Gleisen, die aus zerbrechlichen, empfindlichen Dingen gemacht sind. Es ist der Zug, auf dem Typen wie Jack Junior fahren. Ein Zug voller Mord und Sex und Schreie. Eine große, schwarze, bluttrinkende Schlange auf Rädern. (...) Wenn man auf den schwarzen Zug aufspringt und sich durch die Leichenwagen nach vorne arbeitet, trifft man schließlich auf den Zugführer. Er ist das Monster, das man jagt, und er taucht in vielerlei Gestalt auf. Er kann klein und kahlköpfig und vierzig sein. Oder groß und blond und jung. Manchmal - selten - ist er auch eine Sie. An Bord des schwarzen Zuges sieht man den Zugführer so, wie er wirklich ist, hinter seinem falschen Lächeln und dem dreiteiligen Anzug. Du starrst in die Dunkelheit, und in diesem Moment, wenn Du hinsiehst, ohne zu blinzeln, verstehst Du."

Smoky Barret ist FBI-Agentin in einer Spezialabteilung für Kindesentführung und Serienmorde. Sie hat eine steile Karriere hinter sich, denn sie ist eine der Besten auf diesem Gebiet. Was sie jedoch nicht davor schützt, selbst Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Sie verliert ihren Mann und ihre Tochter, muss selber schreckliche Folterungen und Verstümmelungen erleiden. Nun ist sie auf dem Weg zurück in die Normalität. Sie beginnt, ihre Depressionen zu überwinden und sich mit der Traumatisierung zu arrangieren. Sie will wieder arbeiten, denn das ist das Einzige, was ihr geblieben ist. Ihr erster Fall nach der Genesung befasst sich ausgerechnet die Ermordung ihrer besten Freundin aus Highschool-Zeiten. Doch muss sie bald feststellen, dass ihr eigenes Unglück und das ihrer Freundin eng miteinander verbunden sind.

Cody McFadyen gelingt es, die Innenwelten seiner Protagonisten so gnadenlos auszuleuchten, dass einem als Leser mehr als einmal der Atem stockt. Man will dann dieses Buch nicht mehr weiterlesen. Zu schaurig sind die Abgründe, die sich vor einem auftun. Doch irgendwann packt es einen wieder, man will wissen, wie es weitergeht. Und dann legt man diesen Roman nicht mehr aus der Hand.

Für Kinder: Finger weg!
Für Erwachsene: Unbedingt lesen!

Sonntag, 7. August 2011

Simon Beckett: Verwesung

Jerome Monk hat eine Mordserie gestanden, und soll nun der Polizei helfen, die Gräber seiner Opfer ausfindig zu machen. Schwer bewacht wird er in das Moor geführt, wo die Gräber vermutet werden. Doch schon bald ist er nicht mehr kooperativ. Acht Jahre später erschlägt der Hüne einen Mithäftling und entkommt. Für David Hunter beginnt ein Albtraum.

Der vierte Roman um den forensischen Antropologen Hunter spielt auf mehreren Zeitebenen, die alle durch den Furcht einflößenden Serienmörder verbunden sind. So erfährt man auch etwas über das Vorleben des Protagonisten, der Frau und Kind bei einem Autounfall verloren hat. Trickreich legt der Autor in dem komplizierten Fall immer neue Spuren bis man als Leser erkennt, dass nichts ist, wie es scheint.

Ein intelligent geschriebenes und äußerst spannendes Buch. Lesen!

Dienstag, 2. August 2011

Simon Beckett: Leichenblässe

Die "Anthropology Research Facility" in Knoxville/Tennessee ist eine Forschungsanstalt, in der die Vorgänge bei der Verwesung menschlicher Leichen unter verschiedensten Bedingungen wissenschaftlich erforscht werden. "Body Farm" - "Leichenfarm" - wird das Institut von den meisten Menschen in Tennessee genannt. David Hunter, einer der führenden forensischen Anthropologen Englands, hält sich in der Body Farm auf, um sein Leben zu überdenken. Selbst nur knapp einem Attentat entkommen, kamen ihm während seines anschließenden Krankenhausaufenthalts Zweifel, ob er den seelischen Strapazen seines Berufes überhaupt noch gewachsen ist. Als sich dann noch seine Lebensgefährtin von ihm trennt, kommt er der Aufforderung seines alten Freunds und Mentors Tom Liebermann gerne nach, im anthropologischen Institut Knoxville seine Kenntnisse aufzufrischen und auf den neuesten Stand zu bringen.

Liebermann wird in die Untersuchung eines seltsamen Mordfalls einbezogen, Hunter begleitet ihn, zunächst nur als Beobachter. Die Umstände des Mordes deuten auf das psychologische Profil eines Serientäters hin, eine Vermutung, die leider nur zu bald bestätigt wird. Und so wird es wieder lebensgefährlich für den schwermütigen Forensiker.

Simon Becketts Kriminalromane sind spannend und stecken bis zum Epilog voller verblüffender Ideen und überraschender Wendungen. Ich kann sie uneingeschränkt empfehlen. Wer jedoch eine blühende Phantasie und einen schwachen Magen sein eigen nennt, der sollte sie nicht ausgerechnet beim Frühstück genießen.

Unbedingt lesen!

Donnerstag, 28. Juli 2011

Simon Beckett: Kalte Asche

In dem Augenblick als der Rechtsmediziner David Hunter die Überreste der nahezu vollständig verbrannten  Leiche zum ersten Mal sieht ist ihm klar: Dieser Mensch ist keines natürlichen Todes gestorben. Eigentlich sollte jetzt ein Spurensicherungsteam und eine Menge weiterer Polizisten auf das abgelegene schottische Eiland gebracht werden, aber ein katastrophales Zugunglück bindet alle Kräfte. Dr. Hunter muss zunächst nur mit Hilfe zweier einfacher Schutzpolizisten und eines pensionierten Kriminalkommissars den Fall untersuchen. Doch es sind weitere Tote zu beklagen, die Situation wird zunehmend brenzlig - auch für Hunter.

Der undurchsichtige Fall ist spannend erzählt und steckt voller Überraschungen. Dabei wirken die Abläufe durchaus glaubwürdig und alles Andere als an den Haaren herbeigezogen. Selbst die letzte Doppelseite ist noch für eine erschreckende neue Wendung gut, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Ein weiterer toller und spannender Krimi aus der Feder des Herrn Beckett in einer Übersetzung von Andree Hesse.

Unbedingt lesen!

Mittwoch, 20. Juli 2011

Simon Beckett: Die Chemie des Todes

"Ein menschlicher Körper beginnt fünf Mi­nuten nach dem Tod zu verwesen. Der Körper, einst die Hülle des Lebens, macht nun die letzte Metamorphose durch. Er beginnt sich selbst zu verdauen. Die Zellen lösen sich von innen nach außen auf. Das Gewebe wird erst flüssig, dann gasförmig.
Kaum ist das Leben aus dem Körper gewichen, wird er zu einem gigantischen Festschmaus für andere Organismen. Zuerst für Bakterien, dann für Insekten. Fliegen. Aus den gelegten Eiern schlüpfen Larven, die sich an der nahrreichen Substanz laben und dann abwandern. Sie verlassen die Lei­che in Reih und Glied und folgen einander in einer ordent­lichen Linie, die sich immer nach Süden bewegt. Manchmal nach Südosten oder Südwesten, aber niemals nach Norden. Niemand weiß, warum."

Man mag die Vorstellung, dass der eigene Körper einst zur Brutstätte neuen Lebens wird, gleichsam zu einem Biotop des Todes, tröstlich finden oder ekelhaft. David Hunter fand es immer nützlich. Er war einer der führenden forensischen Antropologen und beschäftigte sich mit der Biologie und Chemie des Todes. Dabei lieferte er wertvolle Hinweise, die der Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen halfen. Nach dem schrecklichen Unfalltod seiner Frau und seines Kindes wollte er eigentlich ein beschauliches Leben als Landarzt führen, doch sein altes Leben holt ihn wieder ein. Eines Tages finden spielende Kinder eine bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte und verweste Leiche. Als dem ermittelnden Beamten Chief Inspector Mackenzie schließlich klar wird, wer da im ländlichen Manham die Schnupfenmittel verschreibt, bittet er Hunter um Hilfe. Nur widerwillig lässt sich der Arzt darauf ein und ist bald lebensgefährlich tief in den Fall verwickelt.

Das Buch ist einer der besten Kriminalromane, den ich jemals gelesen habe. Brillant recherchiert, sprachlich ausgefeilt (Dank an den Übersetzer Andree Hesse!), psychologisch klug aufgebaut, ungemein verzwickt und spannend bis zur letzten Seite.

Lasst Euch nicht von dem Bestseller-Aufkleber abschrecken: Unbedingt lesen!

Montag, 11. Juli 2011

Markus Barth: Der Genitiv ist dem Streber sein Sex

...und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0

Sehr netter Happen zwischendurch! Der Comedian und Gagautor Markus Barth startet mit diesem Buch eine ziemlich rabiate Offensive gegen das Zwerchfell seiner Leser. Stand-Up-Comedy im Taschenbuchformat. Meine dringende Empfehlung: Lesen Sie dieses Buch nicht in ihrem Lieblingscafehaus. Spätestens wenn Sie kichernd einen Schluck Kaffee über das Parkett geprustet haben könnte es sein, dass man dort auf Ihre Anwesenheit in Zukunft keinen Wert mehr legt.

Unbedingt lesen!

Sonntag, 3. Juli 2011

Heinz Otto Fausten: Wir haben uns die Zeit nicht ausgesucht

Der junge Heinz Otto Fausten wird, wie so viele seiner Generation, nach dem Abitur zur Wehrmacht eingezogen und nimmt als Panzergrenadier am zweiten Weltkrieg teil. Er macht "seinen Job", macht dabei ob seiner besonnenen und umsichtigen Art sogar Karriere. Schließlich wird er schwer verwundet, verliert ein Bein und findet sich nach der Gefangenschaft im zusammengebrochenen Nachkriegsdeutschland zurecht. Er studiert in Mainz, engagiert sich beim Aufbau der studentischen Selbstverwaltung, wird schließlich Kunsterzieher und Lehrer. 1971 übernimmt er die Leitung eines Gymnasiums im Aufbau.

Der vorliegende Erlebnisbericht ist in einer Kleinauflage im Rahmen der Schriftenreihe "Erzählen ist Erinnern" des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge erschienen. Er setzt sich zusammen aus überarbeiteten Tagebucheinträgen, eingestreuten Briefen aus der Kriegszeit und aus der Erinnerung nacherzählten Erlebnissen v. A. der Nachkriegszeit. Bei der Schilderung der selbst erlebten Kriegsgräuel setzt Fausten nicht auf effekthascherische Übertreibungen und gefühlsduselige Laienpsychologie, sondern reiht weitgehend nüchtern Fakt an Fakt. Erst die Briefe und erzählten Episoden lassen das Entsetzen in den Köpfen der Menschen jener Zeit erahnen.

Für mich hat das Buch noch zwei Besonderheiten, die vielleicht nicht jeder Leser dieses kleinen Artikels nachvollziehen kann:
  • In das Gymnasium, welches Heinz Otto Fausten ab 1971 leitete, wurde ich selbst 1972 als Fünftklässler eingeschult. Mir ist der Autor als humorvoller und teilweise recht unkonventioneller Schulleiter im Gedächtnis geblieben. Mit diesem Buch lerne ich endlich seine Lebensgeschichte kennen. Ich verstehe nun besser, was ihn geprägt hat und lerne den Humor, den er sich trotz dieser Erlebnisse bewahrt hat, noch mehr schätzen. 
  • Mein Großvater entstammt der gleichen Generation, war nur wenig älter als Heinz Otto Fausten. Die beiden haben sogar eine Zeit lang an der Ostfront zusammen kämpfen müssen, wie ich erst kurz vor meinem Abitur erfahren habe. Mein Großvater hat, trotz meiner bohrend-neugierigen Fragen nie über seine Erlebnisse im Krieg gesprochen. Heinz Otto Fausten tut es ehrlich, ohne Umschweife oder Beschönigung. Jetzt wird mir klarer, warum mein Großvater immer schweigen wollte. 
Um so mehr danke ich Herrn Fausten für seine Offenheit.

Ein wichtiges Buch! Lesen!

Samstag, 2. Juli 2011

Carlos Salem: Wir töten nicht jeden

Wie versteckt ein Profikiller seine Waffe ausgerechnet auf einem FKK-Strand? Und wie eine Erektion? Warum nimmt Juan Pérez Pérez zu diesem seltsamen Auftrag ausgerechnet seine Kinder mit? Und warum hat die Mutter dieser Kinder, die schöne Leticia mit der er viele Jahre verheiratet war und die jetzt überraschend mit ihrem neuen Liebhaber an diesem Strand auftaucht, nie etwas von Juans Doppelleben mitbekommen?

Der Plot der Kriminalkomödie von Carlos Salem ist ebenso verwirrend wie originell und bizarr. Am FKK-Strand geht es bald drunter und drüber und weder der Leser noch der Protagonist weiß schließlich, wer denn nun genau im Fadenkreuz des Attentäters steht. Geschickt legt der Autor in jedem Kapitel immer noch ein paar Kohlen nach, und so schüttet man sich als Leser geradezu aus vor Lachen. Trotzdem ist das Finale spannend bis zum Nägelkauen. Herr Salem: Bitte noch mehr solche Bücher!

Ein herrlicher Urlausbspaß - unbedingt lesen!

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Bücherdealer meines Vertrauens, der mit dieser Empfehlung mal wieder 100%ig meinen Geschmack getroffen hat.

Dienstag, 28. Juni 2011

Bruno Paulot: Eine groteske Liaison

Durch sieben Schüsse wird in einem kleinen Pfälzer Weindorf der Weinkommissionär Heribert Oster regelrecht hingerichtet. Da der umstrittene Händler mehrere Winzer in den Bankrott getrieben hat, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um einen Rachefeldzug der Geprellten handelt. Kommissar Burgenstaller und sein pfiffiger Praktikant ermitteln. Auch seine Frau Maria, als ehemalige Polizistin einschlägig vorbelastet, steuert Ideen zu den Ermittlungen bei. Doch der Fall ist viel komplizierter als zunächst gedacht.

Bruno Paulot gelingt es in seinem spannenden, intelligent geschriebenen Krimi, die pfälzer Lebensart auf das Trefflichste einzufangen. Nicht nur wegen der eingestreuten Rezepte, sondern auch wegen der ausgefeilten Sprache ist dieses Buch ein Leckerbissen, den sich kein Krimigourmet entgehen lassen sollte.

Lesen! Und zwar sofort!

Donnerstag, 16. Juni 2011

Bernd Schumacher: Februarblut

Im Februar 1953 erschüttert ausgerechnet in der Karnevalszeit eine Mordserie das sonst so friedliche Städtchen Rheinbach in der Voreifel. Der junge Kommissar Walter Seibold ist wenig angetan von dem Gedanken, in diesem Provinznest zu ermitteln. Doch einmal dort angekommen, lassen ihn die Ermittlungen nicht mehr los. Schnell lernt er Menschen kennen und schätzen, was dem gebürtigen Sachsen einerseits die Ermittlungen erleichtert, andererseits aber auch seine Objektivität gefährlich eintrübt. Bald schwebt er in Lebensgefahr.

Ich mache es kurz: Mir gefällt dieser erste Seibold-Krimi am besten. Eine im authentischen Zeitgeist der frühen Gründerjahre unserer Republik spielende, spannende Kriminalgeschichte. Ich habe sie verschlungen, als gäbe es morgen keine Bücher mehr.

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Freitag, 10. Juni 2011

Bernd Schumacher: Wer mit dem Teufel tanzt

Wir schreiben das Jahr 1969. Die Hippie-Welle schwappt auch nach Deutschland, die Rolling Stones haben mit "sympathy for the devil" einen Riesenhit, und im beschaulichen Rheinbach bei Bonn geht ein Mädchenmörder um. Zunächst gerät ein ausgebrochener Häftling des ortsansässigen Gefängnisses unter Verdacht, die Fahndung nach ihm läuft auf Hochtouren. Doch Kommissar Seibold von der Bonner Mordkommission geht lehrbuchmäßig vor und ermittelt systematisch in alle Richtungen.

Herr Schumacher gelingt es, Lokalkolorit und Zeitgeist hervorragend einzufangen. Er erzählt eine intelligent erdachte Kriminalgeschichte und flicht in die Handlung auch reale Personen dieser Zeit ein. Das macht seinen Roman interessant und spannend.

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Sonntag, 5. Juni 2011

Anne Grießer (Hrsg.): Die lange Tote vom Münsterplatz

Wer ist die auffällig große Schönheit, die im Münster alle Blicke auf sich zieht? Warum lauert ein Mädchen mit Down-Syndrom auf einen Mann, der sich im Bach die Füße nass macht? Und wer entführt allen Ernstes einen Hund?

Diese und andere Fragen beantworten verschiedenen Autoren in 24 Kurzgeschichten. Diese sind so verschieden, wie es nur möglich ist, doch haben sie zweierlei gemeinsam:

  1. sie spielen alle im sonnenverwöhnten Freiburg
  2. sie sind äußerst kurzweilig.
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Samstag, 14. Mai 2011

Bernd Schumacher: Das Nibelungenkomplott

Wir befinden uns am Anfang der 90er Jahre und Deutschland ist angesichts der Wiedervereinigung besoffen vor Glück. Dem pensionierten Kriminalkommissar Walter Seibold jedoch entgleitet nach dem Tod seiner Frau sein Leben zusehends. Er versinkt in depressiver Grundstimmung.

Eines Tages bittet ihn sein alter Freund Alfred Winand um Hilfe: Er vermisst seine erwachsene Tochter. Die Polizei vermutet, dass die einschlägig vorbestrafte junge Frau lediglich zur Drogenbeschaffung nach Amsterdam aufgebrochen ist und wieder auftauchen wird, sobald ihr das Geld ausgeht. Sie unternimmt deshalb nichts. Seibold ist zunächst auch skeptisch. Als er sich dann aber doch im Hause der Winands umsieht, entdeckt er, dass hinter dem Verschwinden der Frau wohl mehr steckt als ein Drogenexzess. Nach und nach deckt er eine ungeheuerliche Verschwörung auf, bei der es um weit mehr geht, als das Verschwinden einer ehemaligen Drogenabhängigen.

Wer Verschwörungsgeschichten wie "Das Sakrileg" mag, der wird das Nibelungenkomplott lieben. Ich habe mir jedenfalls, sehr zur Freude meines Bücherdealers, sofort alle anderen verfügbaren Bücher des Autors bestellt.

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Freitag, 6. Mai 2011

Anne Hassel, Ursula Schmidt-Spreer (Hrsg.): Der Henker von Nürnberg

Mit äußerst kurzweiligen Geschichten entführt uns dieses Büchlein ins mittelalterliche Nürnberg. Was ist Meister Franz eigentlich für ein Kerl? Warum geht er neben seinem Beruf als Henker noch Nebentätigkeiten nach, von denen niemand etwas wissen darf? Warum zum Teufel hat Veit Stoß, der berühmte Bildschnitzer, im Gefängnis gesessen? Wer hat einst den Nürnberger Trichter erfunden? Warum sieht Albrecht Dürers sitzender Hase so realistisch aus. Wer ist eigentlich Kaspar Hauser? Und warum hat Margarete, die junge Hübschlerin, eines Tages rote Striemen im Gesicht? Diese Fragen und noch viele weitere werden in 26 spannenden, teilweise auch komischen Kurzgeschichten beantwortet.

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Freitag, 29. April 2011

Sineb El Masrar: Muslim Girls

Wer wir sind, wie wir leben
Irgendwie habe ich es ja immer schon geahnt: Hatice, Ayla, Amira und Fatme sind gar keine Außerirdischen. Auch Gürhan, Erkan, Erdal und Mustafa sind uns gar nicht so fremd, wie immer behauptet wird. Die kommen nicht von einem anderen Planeten, sondern nur aus einem anderen Land. Viele von ihnen, inzwischen sogar die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime, kommen sogar aus Deutschland. Ja! Haltet Euch fest: Die sind hier geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden. Sind mit uns zur Schule gegangen und kennen die Heimat ihrer Großeltern nur noch aus dem Sommerurlaub. Es sind Deutsche. Und ihr Wertesystem unterscheidet sich mehrheitlich kaum von unserem, auch wenn dies von Politikern und Journalisten oft ignoriert oder gar geleugnet wird. Sie haben tatsächlich die gleichen Wünsche und Hoffnungen wie die meisten anderen Menschen in Deutschland auch.

Muslimische Frauen sind in der Regel ebenso wenig die unterdrückten, zwangsverheirateten Wesen, die noch immer in unseren Köpfen herumgeistern, wie muslimische Männer mehrheitlich keine wahnsinnigen Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste sind. Diese Bilder haben mit den hier lebenden, durch den Islam geprägten Menschen so viel zu tun wie die Scheiterhaufen der spanischen Inquisition mit modernen, aufgeklärten Christen des 21. Jahrhunderts.

"Aber es gibt doch auch..." höre ich da hinten jemanden dazwischenrufen. Ja! Auch! Betonung bitte auf "auch"! Schließlich gibt es auch den Ku-Klux-Klan. Und mit dem möchte man als Christ doch auch nicht in einen Topf geworfen werden. Das musste einfach einmal gesagt werden! Und Frau El Masrar sagt es mit viel klügeren Argumenten als ich es hier tue. Auf durchaus auch unterhaltende Weise und ohne erhobenen Zeigefinger klärt sie in diesem Buch auf über das Leben der jungen Generation Muslime in Deutschland. Sie tut dies vor allem aus ihrer, der weiblichen Perspektive. Dennoch ist das Buch auch für Männer lesenswert und lehrreich. Ein wichtiges Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Freitag, 22. April 2011

Elke Heidenreich, Quint Buchholz: Nero Corleone kehrt zurück

Isolde kehrt eines Tages nach Italien zurück. In dem alten Ferienhaus möchte sie nun für eine Weile leben. Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit mit Robert, mit dem sie immer noch befreundet ist. Wehmütig denkt sie an den Straßenkater Nero, der ihr so ans Herz gewachsen war und der eines Tages einfach nicht mehr aufgetaucht ist, als sie mit Robert zurück nach Deutschland gefahren ist. Sie richtet sich häuslich ein, und nach und nach geschehen Dinge, die sie als kleine Wunder empfindet.

Nach langen Jahren des Wartens hat Frau Heidenreich nun eine Fortsetzung ihres Bestsellers um den schwarzen Kater mit der weißen Pfote geschrieben. "Endlich!" möchte man ausrufen. Ganz im Stil eines Kinderbuches erzählt sie eine Geschichte vom alt werden und von gereifter Liebe zwischen Menschen, die sich eigentlich nicht mehr überraschen können. Es ist eine leise Geschichte, die ganz unspektakulär die Gefühle und Beziehungen ihrer Akteure beschreibt. Und weil Frau Heidenreich das so einfühlsam schreibt, liest man diese schöne Geschichte in einem Rutsch, erfreut sich an den Illustrationen von Quint Buchholz und wundert sich schließlich, dass das Buch schon vorbei ist. So kurzweilig ist es.

Unbedingt lesen!

Und wer den ersten Teil noch nicht kennt, der sollte sich was schämen!

Sonntag, 17. April 2011

Christoph Koch: Ich bin dann mal offline


Ein Selbstversuch - Leben ohne Internet und Handy

Als nach einem Umzug der Neuanschluss der DSL-Leitung zunächst nicht klappen will, kauft der Autor sich einen zur damaligen Zeit noch sündhaft teuren USB-Stick, um über das Mobilfunknetz endlich wieder Emails auf seinem Laptop empfangen zu können. Als er die Anschlussgebühr und die  anschließende Monatsabrechnung zusammenaddiert, wird ihm erst klar, dass er um ein paar Tage Verzögerung bei der DSL-Versorgung zu überbrücken rund 600,- € auszugeben bereit war. Und zwar ohne zu zögern.
Er beginnt, sein Online-Verhalten in Frage zu stellen und entwirft einen Selbstversuch: Was wäre, wenn man seinen Internetanschluss und sein Mobiltelefon eines Tages einfach ausgeschaltet ließe? Er beschließt, dies für vier Wochen auszuprobieren und eine digitale Fastenzeit einzuhalten.

Mit einer Kollegin tausche ich hin und wieder Bücher aus: "Kennen sie das schon?" oder "Das müssen Sie unbedingt lesen!" sagen wir uns schon lange nicht mehr. Wir legen uns einfach gegenseitig stapelweise Bücher auf den Schreibtisch oder ins Postfach. Der mit Lesevorschlägen beglückte nimmt sich den Stapel mit nach Hause und liest, was immer er von dem Stapel lesen möchte. Gelegentlich unterhalten wir uns über die gelesenen Bücher, so bekommen wir langsam ein Gespür für die Lesevorlieben des jeweils Anderen. Schön!

Dieses Buch passte allerdings so gar nicht zu den bisher von der Kollegin geliehenen Büchern. "Ein Sachbuch?" nörgelte mein Hippocampus. "Es wurde doch bisher immer Belletristik gereicht! Krimis und Romane der spannenden und fesselnden Sorte!" quengelte der innere Schweinehund. Widerwillig legte ich es auf den "Noch zu lesen"-Stapel, der in meiner Küche bedenklich schwankend in Richtung Zimmerdecke wächst.  Gerade für mich, der ich gegenüber meinen Schülern gerne die Behauptung aufstelle, ich sei schon internetsüchtig gewesen, noch bevor sie lesen und schreiben konnten, stellt der Inhalt dieses Selbstversuchs eine an die Flagellanten des Mittelalters erinnende Form von Sektierertum dar.

Inzwischen habe ich es gelesen, "in mich hineingefressen" möchte ich sagen. Der unterhaltsam geschriebene Bericht hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen, die in kleinen Häppchen eingestreuten Sachinformationen wurden vom Autor sorgfältig in die Chronologie der Handlung eingeflochten. Hier wird eben nicht nur die Geschichte eines Entzugs erzählt, ich lernte auch noch, ihn durch die Brille verschiedener Fachwissenschaften zu verstehen. Im Spiegel dieses Buches begann ich, mein eigenes Online-Verhalten kritisch zu beobachten. Ich erkannte, dass es sich lohnen kann, hin und wieder eine Email nicht sofort zu beantworten oder das Mobiltelefon nicht nur stumm zu schalten, sondern es gänzlich auszumachen und zuhause zu lassen.

Dieses interessante und extrem nützliche Buch jetzt hier in meinem Bücherblog zu loben, erscheint mir allerdings schon etwas widersinnig, aber was soll's: Lesen!

Donnerstag, 14. April 2011

Harald Schneider: Räuberbier


Beim Besuch eines Freundes in einer Brauerei fällt Hauptkommissar Reiner Palzki ein Toter fast buchstäblich vor die Füße. Genauer gesagt war der Angestellte eigentlich erst tot, als er damit aufgehört hatte, vom 34 Meter hohen Gärtank der Eichbaum-Brauerei herunter zu fallen. Palzki vermutet sofort, dass der Mann nicht freiwillig gefallen ist. Er beginnt, sich von den Örtlichkeiten ein umfassendes Bild zu machen und erste Spuren zu sichern. Doch sehr zum Verdruss des gewieften Ermittlers glauben die zuständigen Kollegen aus Baden-Würtemberg an Suizid. Das Jahresende ist nahe, und man will sich die Statistik nicht mit einem ungeklärten Mordfall verderben. Palzki kann zunächst nichts machen, die Brauerei steht in dem für ihn falschen Bundesland.
Doch bald gibt es auch in seinem Zuständigkeitsbereich einem Toten. Hier lassen die Umstände keine andere Schlussfolgerung zu: Mord! Nach und nach werden Querverbindungen zwischen den beiden Todesfällen sichtbar, und endlich kommen die Untersuchungen in Gang. Auch dieses Mal wird es für Palzki wieder lebensgefährlich.

Auch in diesem fünften Band der Reihe um den Schifferstadter Polizisten kommen komödiantische Elemente nicht zu kurz: Palzkis hingebungsvolle Liebe zu Junk-Food, seine Unfähigkeit, seinen Sohn an der Spielekonsole zu besiegen, die zickig-pubertierende Tochter (Ja! Die sind so!) und der nervtötend-eitle Chef kitzeln das Zwerchfell. Auch das von Personalmangel gebeutelte Gesundheitswesen und den übereifrigen Praktikanten in der Polizeiinspektion überzeichnet Herr Schneider karikaturhaft und bringt den Leser so immer wieder zum Schmunzeln. Trotzdem ist die Krimihandlung logisch aufgebaut und überaus spannend. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, gibt es zwischendurch immer wieder Hinweise zum Mitknobeln, aber eben gerade so viele, dass man nicht zu früh auf die Lösung kommt. Ich habe den Eindruck, dass Herr Schneider die Krimi- und die Komödienelementen schärfer voneinander abgrenzt als früher: Wenn es spannend sein soll, dann ist es spannend - und wie, und wenn es lustig sein soll, dann ist es lustig. Mir gefällt das sehr gut. Abgerundet wird dieses schöne Buch durch einen dicken Anhang, aus dem andere Autoren gleich noch einen Schmöker machen würden.

Möge Räuberbier noch viele krimidurstige Leser finden.

Lesen!

Dienstag, 29. März 2011

Lilo Beil: Die Nacht der grauen Katzen

Wir schreiben das Jahr 1988, der Untergang des zweiten deutschen Staates liegt bereits in der Luft und auf dem Land es gibt es noch Karottenhosen und Musik von Nina Hagen. Kommissar Gontard ist inzwischen in die Jahre gekommen. Nur ein Jahr trennt ihn noch vom wohlverdienten Ruhestand. In seiner Freizeit schätzt er für Auktionen Antiquitäten aus Nachlässen, und genau diese Tätigkeit führt ihn in ein verträumtes Nest an die Weinstraße. Die etwas vergammelte Arztvilla wurde zuletzt nur noch von der Tochter das alten Mediziners bewohnt. Er beginnt, sich durch die Fotos, Bilder und Haushaltsgegenstände aus dem Besitz der Familie zu wühlen, und macht sich dabei auch ein Bild von den Menschen, die einst in dem Haus gelebt haben. Irgendwann klingelt es, ein junger, auffallend gut aussehender Mann steht vor der Tür und erkundigt sich nach der Arzttochter. Als er erfährt, das diese nicht mehr lebt, ergreift er überstürzt die Flucht.
So weit, so gut. Am nächsten Tag finden man den jungen Beau ermordet in den Weinbergen der Umgebung, und so beginnt ein neuer Fall für Gontard. Die Spuren dieses Mordes reichen zunächst nur in die Zeit der Geburt des jungen Mannes zurück. Doch schon bald muss der Polizist erkennen, dass er noch immer über die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte stolpert, dass ihn die braune Vergangenheit der Pfalz immer wieder einholt.

Ein stimmungsvolles Sittenbild der späten 80er Jahre, ein mahnender Appell, die jüngere deutsche Geschichte nicht zu vergessen und zudem ein spannend erzählter Kriminalroman. Frau Beils Umgang mit den unterschiedlichen Sprachstilen der verschiedenen Romanfiguren ist souverän, die geschichtlichen Hintergründe sehr präzise dargestellt, und auch die Musikauswahl stimmt.

Nur ein Wort noch: Lesen!

Sonntag, 20. März 2011

Gisbert Haefs: Die Mörder von Karthago

Auch in der Antike gab es bereits Verbrechen, auch in der Antike gab es Polizisten, die sich mit deren Aufklärung beschäftigten. Bomilkar ist ein solcher Polizist. Er leitet die Stadtwächter des alten Karthago und wird im Jahr 228 vor unserer Zeitrechnung mit einer ganzen Kette von Morden konfrontiert, die scheinbar nicht miteinander zu tun haben. Trotz seiner laufenden Ermittlungen wird er als Leibwächter für eine wichtige diplomatische Mission nach Rom abkommandiert. Dort wird er bald in finstere Machenschaften verstrickt und stellt zu seinem Entsetzen fest, dass eine Verschwörung im Gange ist, bei der er selbst eines der Ziele darstellt.

Die historischen Romane des Gisbert Haefs sind schon etwas ganz besonderes: Geradezu detailversessen baut er ein historisches Szenario auf, in das man als Leser gerne abtaucht, von dem man geradezu gefangen genommen wird. Historische Persönlichkeiten interagieren mit fiktiven Charakteren, das verleiht der Handlung mehr Glaubwürdigkeit. Die Schilderungen der Ereignisse sind so lebendig, dass man bisweilen meint, den Duft der verkosteten Speisen in der Nase zu haben, den Lärm des städtischen Treibens im längst untergegangenen Karthago zu hören und das Klirren der Waffen.

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Sonntag, 13. März 2011

SOKO Metropolregion (Hrsg.): Mörderischer Erfindergeist

Kriminelles aus der Metropolregion Rhein-Neckar

In der Kurpfalz wurde so Mancherlei erfunden: Der junge Freiherr von Drais erschreckte seine Mitbürger mit seiner Laufmaschine, Bertha Benz zuckelte einst mit dem von ihrem Göttergatten Karl erfundenen Motorwagen durch die Gegend, Heinrich Caro, Heinrich von Brunck und Rudolf Knietsch erfanden für die Badische Anilin- und Sodafabrik Textilfarbstoffe auf Teerbasis, und unlängst kamen noch 21 Kriminalgeschichten hinzu, von ebenso vielen Autoren ersonnen, teils spannend bis zum Umfallen, teils zwerchfellerschütternd.

Eine äußerst lesenswerte Anthologie. Und das sage ich, obwohl ich bekanntlich eigentlich gar keine Kurzgeschichten mag.

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Samstag, 26. Februar 2011

Matthias P. Gibert: Nervenflattern

Im beschaulichen Kassel steht die nächste Documenta auf dem Terminplan. Als eine türkische Putzfrau ein Treppenhaus hinabstürzt und dabei zu Tode kommt, glauben alle an einen Unfall. Einige Zeit später kommt ein homosexueller Sozialarbeiter auf mysteriöse Weise zu Tode. Die Ermittler denken zunächst an Selbstmord, zumal der Mann schon auf Depressionen behandelt wurde. Eher zufällig erkennt Kommissar Lenz, dass da etwas nicht stimmen kann. Er ordnet buchstäblich in letzter Sekunde eine Obduktion an, und das Ergebnis kommt einer Sensation nahe: er wurde mit einem Giftgaskampfstoff ermordet. Als Lenz schließlich den Zusammenhang mit der verstobenen Reinigungskraft erkennt, ist er alarmiert: Stecken womöglich rechtsradikale Terroristen hinter den Morden?

Matthias Gibert konstruiert hier einen äußerst verzwickten Kriminalfall, der bis zum letzten Kapitel spannend bleibt und entgegen jeder Krimigewohnheit nicht alle Fragen beantwortet die er im Laufe der Erzählung aufgeworfen hat. Dadurch werden die Ermittlungen noch realistischer, die Handlung noch glaubwürdiger.
Sein akribisches Detailwissen über Nervengas bezieht der Autor offensichtlich aus der Wikipedia. Keine Schande, aber eine Doktorarbeit sollte man so nicht schreiben, schon gar nicht ohne Quellenangabe ;-)

Montag, 7. Februar 2011

Reinhard Rohn: Mord unter dem Drachenfels

Der Operntenor Georg Arden wir Opfer eines brutalen Überfalls, bei dem ihm offenbar gezielt der Kehlkopf zertrümmert wird. Eine junge Frau versucht ihm zu helfen und wird prompt ebenfalls zum Opfer des Angreifers - er erschlägt sie kurzerhand. Durch den Verlust seiner Stimme der Existenz beraubt wird der Sänger depressiv und seine Beziehung zerbricht nicht zuletzt deshalb, weil er seine ehemalige Partnerin verdächtigt, ihre Finger im Spiel gehabt zu haben. Er flüchtet mit seinem kleinen Sohn Tom nach Königswinter, wo er die junge Klavierlehrerin Nora kennenlernt. Doch auch sie hat dunkle Geheimnisse. Ohne dass sie es zunächst ahnen, sind ihre Schicksale auf erschreckende Weise eng miteinander verwoben.

Ich sage es gleich vorneweg: Wer einen actiongeladenen und bis zum Platzen spannenden Krimi erwartet, der sollte sich lieber ein anderes Buch vornehmen. Vor allem ein weniger dickes. Der Autor lässt sich viel Zeit mit der Entwicklung der Charaktere. Auch Nebenfiguren werden psychologisch durchdacht aufgebaut, ihre Biographien sorgsam konstruiert. Diese Sorgfalt zahlt sich aus. Alle Handlungsfäden wirken glaubhaft und verständlich, alle Personen absolut glaubwürdig. Die Auflösung des Kriminalfalls wird schließlich mit Präzision angesteuert und dann wird es eben doch noch spannend bis zum Platzen und actiongeladen sowieso.

Lesen!

Samstag, 8. Januar 2011

Helmut Orpel: Tödliche Illusionen

Kommissar Bauer ist neu in Mannheim. Noch keine zwei Monate lebt er dort, da erschüttern die aufstrebende Wirtschaftsmetropole am Neckar mehrere Morde, bei denen die Opfer regelrecht hingerichtet werden. Hat hier vielleicht das Rotlichmilieu seine schmutzigen Finger im Spiel? Sind die Morde möglicherweise politisch begründet? Oder ist alles ganz anders? Die Ermittlungen kommen nur zäh voran, und ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Man merkt beim Lesen nicht nur, dass der Autor ein Schreibprofi ist sondern auch, dass ihm die Arbeit in der Politik durchaus nicht fremd ist. Spannendes und intelligent geschriebenes Buch!

Lesen!