Mittwoch, 21. Oktober 2020

Mary Shelley, Ralf König: Frankenstein


Ein alternder Mediziner lebt in selbst gewählter Abgeschiedenheit das karge Leben eines Bestatters und Leichenwäschers irgendwo in der Provinz. Das verschafft ihm die notwendige Ruhe, um seine privaten Forschungen zu betreiben. Ihm fällt Mary Shelleys Roman in die Hände, den er in nur einer Nacht verschlingt. Zutiefst von der Geschichte berührt und aufgewühlt beschließt er, sich in einem Brief der Autorin anzuvertrauen. Er und der Romanheld Viktor Frankenstein teilen eine geheime Leidenschaft. 

Ralf König nimmt sich behutsam eines Klassikers an. Was dabei herauskommt ist ein ernstes Buch und eine knietiefe Verbeugung vor Frau Shelley.

Ein tolles Buch. Unbedingt lesen, und zwar sofort.

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Beate Knappe: knappe70

 Fotografien - mein Leben

Und wieder ist mir etwas dazwischen gekommen. Ich wollte doch den Comic-Stapel abbauen! Ich habe ein Paket abgeholt. Bei UPS. Hier in Neustadt ist das reichlich umständlich, weil der Tabakladen, der als UPS-Abholstation fungiert, weit vom Stadtzentrum entfernt ist. Aber ich habe ja jetzt wieder ein Fahrrad. Also Rucksack auf und ab dafür. 

"Kann nicht allzu groß sein." sage ich ahnungslos zur Tabakhändlerin, als sie anfängt, im Regal zu suchen. "Ist nur eine Büchersendung!" Was sie mir dann in die Hand drückt, ist verblüffend groß und schwer. Das kann doch unmöglich Beates Ausstellungskatalog sein! Hoffentlich passt das in den Rucksack. Beim Frühstücken in einem meiner Lieblingscafés (Ja: Neustadt ist zwar klein, aber die Kaffeehausszene ist äußerst vielfältig - ich habe also mehrere Lieblingscafés!) öffne ich den großen Karton. Was ich herausziehe, übertrifft alle meine Erwartungen: Das Buch ist riesig. Wie ein Telefonbuch (die Älteren unter uns werden sich erinnern), nur mit Hardcover. Und in Schwarz. Als junger Mann habe ich mehrere Jahre lang konsequent nur schwarze Kleidung getragen. Ich liebe Schwarz!

Viele von Beates Bildern aus analogen Zeiten kenne ich schon, denn sie teilt diese recht großzügig auf diversen social-media-Plattformen. Aber das Buch hat mich trotzdem völlig erschlagen. Die Druckqualität ist spektakulär. Das sind die besten Schwarzweißdrucke seit Barytpapier. Man kann die Bilder förmlich ertasten. Und das schwere Papier riecht so gut! Beate erklärt in kurzen Einleitungstexten jedes Kapitel und die Kapitel spiegeln jeweils eine Schaffensperiode der Fotografin wieder. Es beginnt mit ihren fotografischen Anfängen: Als blutjunge Frau hat sie mit einer zweiäugigen Rolleiflex zu fotografieren begonnen. Quadratfotos. Menschen waren und sind ihr Lieblingsthema, deshalb hat sie Verwandte und Bekannte abgelichtet. Erstaunlich einfühlsame Portraits sind dabei herausgekommen. "Menschen" zieht sich als Thema wie ein roter Faden durch ihre Arbeit: Prominente, Straßenszenen, Reportage... Fast immer stehen Menschen im Mittelpunkt ihrer Bilder. Und fast immer in Schwarzweiß. 

Und dann kamen noch Bilder, die ich noch nie gesehen hatte. Bei Bildern von den großen Demonstrationen in den späten 70ern und frühen 80ern und bei einigen Straßenszenen hatte ich schließlich feuchte Augen. Vor über dreißig Jahren hat Beate auch Teile meines Lebens festgehalten. Und da kannte ich sie noch nicht einmal.

Ein großartiges Buch. 

Kauft, Leute, kauft. Und das meine ich wirklich ernst. Geht in die Ausstellung, wenn ihr könnt.

Dienstag, 13. Oktober 2020

Ralf König: Trojanische Hengste


Da war doch noch 'was!?

Ach ja: Ich habe noch einen ganzen Stapel mit Comics des geschätzten Herrn König, die mir im Laufe der Jahre durch die Lappen gegangen sind. In den Sommerferien habe ich den auch nicht wie geplant geschafft, also schiebe ich die schönen, bunten Hefte nach und nach zwischen die Bücher, die ja auch noch gefressen werden wollen. 

Wohlan denn:

Für diesen prächtigen Band aus dem Jahr 2006 strichelte Herr König lustige Episoden aus allen möglichen Bereichen des Lebens Homosexueller zusammen: Konrad und Paul, alternde Paare, junge Hengste, welkende Tunten... es sind alle da und werden auf die Schippe genommen. Die Pointen sitzen immer und sind oft tiefsinniger und einfühlsamer, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Ein wunderschöner und sehr witziger Comic, sehr zu empfehlen.

Lesen, und zwar unbedingt und sofort!



Sonntag, 4. Oktober 2020

Walter Moers: Der Bücherdrache


Wild entschlossen, den meterhohen Stapel der noch zu lesenden Bücher in der Küche endlich in Angriff zu nehmen, werden wohl in der nächsten Zeit wieder weniger eBooks verzehrt.

Der kleine Buchling Hildegunst zwei macht eine Exkursion in den legendären Ormsumpf. Dort trifft der mutige Schüler auf den Bücherdrachen Nathaviel. Er erfährt viele seiner Geheimnisse, denn das Schuppentier ist verdächtig redselig. 

Wieder einmal überrascht mich der eloquente Silbendrechsler Moers mit seiner geradezu überbordenden Phantasie. Wer glaubt, dass schon die Comics des Autoren bizarre Ideen enthalten, hat vermutlich noch nie seine Nase in die Romane von Walter Moers gesteckt. Da setzt er wirklich noch einmal einen drauf. Außerdem ist ein Meister der Sprache. Kostprobe?

"Also: Da waren plötzlich all diese Gedanken. Diese Ideen, diese Vokabeln in meinem Hirn, die ich vorher nicht gekannt hatte. Wunderbare Wörter wie Silbenfall oder Augenweide. Freudenträne oder Gedankenspiel. Geistesblitz oder Fernweh. Wörter, die mich nachdenklich und traurig machten, wie Weltschmerz oder Endlichkeit. Und da waren auch welche, die mich zum Lachen brachten: Wie ekrenkäsig, indulgant, Imponderabilien oder Olgötze. All diese Edelwörter gehörten plötzlich zu meinem Wortschatz. Genauso wie das Wort Wortschatz, obwohl ich vorher nicht mal wusste, dass ich einen besaß. (...)"

Und das kann er praktisch immer weiter, denn die Ideen gehen ihm nie aus. Dass er diesen Roman wieder auf das bezauberndste bebildert hat, rundet den Lesegenuss vollends ab. Ein tolles Buch!

Unbedingt lesen!