Samstag, 15. Mai 2021

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen

aber wissen sollten

Morgens stehe ich gerne ein paar Minuten früher auf, als es eigentlich notwendig wäre.  Die gewonnene Zeit nutze ich, um mir beim Bäcker ein paar Häuser weiter einen Milchkaffee zu holen und ein frisches, noch dampfendes Croissant. Ich frühstücke dann stehend auf der Straße. Ich grüße die Jungs von der Straßenreinigung, die um diese Uhrzeit ihre Runde vor meinem Haus drehen und dabei lärmtechnisch einen gewaltigen Affenzirkus veranstalten. „Muss halt sein.“, habe ich irgendwann verstanden und bin deshalb gerne freundlich zu ihnen, obwohl ich Lärm vor dem Beginn der Wirkung des ersten Kaffees am Morgen nicht leiden kann. Die machen auch nur ihren Job, und der ist wichtig. Auch den Fleischermeister von schräg gegenüber grüße ich freundlich. Klingt etwas merkwürdig für jemanden der kein Fleisch isst, aber so sieht es aus: Der Mann ist mein Nachbar. Er ist ein hart arbeitender Handwerker, der eine Menge wichtiger Dinge verstanden hat und sich deshalb bewusst von der Massentierhaltung abgrenzt. Und deshalb freue ich mich, ihn zu sehen und grüße ihn. Während ich stehend und schlendernd mein Frühstück zu mir nehme, inspiziere ich die Schaufenster der umliegenden Geschäfte: Die zwei Metzgereien interessieren mich nicht so sehr, obwohl in einer davon tolle Werbefotos in Schwarzweiß hängen - die sehe ich mir dann doch ganz gerne an. Auch die schwarzweißen Werbefotos des Barbershops gegenüber sind ansehnlich und hier vertreibe ich mir gerne die Zeit. Und dann ist da noch diese Zuckerbäckerei! Oder sagt man Konditorei? Patisserie? Confiserie? Egal: Die machen hochwertigen Süßkram, der auch noch schön anzuschauen ist. Meinem letzten Abiturkurs habe ich dort Glücksschweine aus Marzipan gekauft und jedem Schüler während der letzten Klausur eines auf den Tisch gestellt. Toller Laden, tolles Schaufenster. Und dann sind da noch zwei Buchhandlungen: Die Niederlassung einer im Süddeutschen Raum verbreiteten Kette in meinem Haus, und zwei Häuser weiter der Bücherdealer meines Vertrauens. 

Und jetzt sind wir endlich beim Thema!

Dort ist mir dieses Buch immer wieder aufgefallen. Wegen des tollen Covers. Im Ernst! Ich fotografiere ja selber, layoute auch gelegentlich Drucksachen - mir fällt so etwas auf. Da hockt eine junge Frau - die Autorin - in einem türkisfarbenen Hosenanzug (?) vor einer weißen Wand. An den Füßen hat sie schwarze Schnürstiefel, die an militärisches Schuhwerk erinnern. 

Ihr Kinn ist auf ihre rechte Hand gestützt und sie schaut sehr eindringlich und ernst in die Kamera - also direkt in meine Augen.
 
Einem solchen Blick kann ich nicht ausweichen. Ein schönes Foto! Die Bildgeometrie ist genauso perfekt wie die Beleuchtung. Die Autorin kommt deshalb bestens zur Geltung. Der Titel des Buches ist farblich auf ihre Kleidung abgestimmt, der Untertitel auf den Schatten, den sie auf der Wand hinterlässt. Und der Name der Autorin passt farblich zu ihren Schuhen. Ich finde dieses Cover schön! Einzig der unerträglich hässliche „SPIEGEL Bestseller“-Aufkleber in Rot-orange stört. Ich sehe solche Details - sorry. Kann ich nicht ändern. 

Um dieses Buch bin ich lange herumscharwänzelt. „Rassismus? Ich bin kein Rassist. Was geht mich das an?“ Dachte ich und habe nicht weiter drüber nachgedacht.

Sie haben es auch gemerkt, oder? Ich drücke mich seit über einer Bildschirmseite um das eigentliche Thema „Rassismus“ herum. 

Um es kurz zusammenzufassen: Ich bin noch oft an dem Buch vorbeigegangen. Jedesmal schien mir der Blick der Autorin vorwurfsvoller und enttäuschter zu sein. Irgendwann habe ich es dann doch gekauft. „Dunkle Haut ist vermutlich so etwas Ähnliches wie mein verkackter Vorname. Damit gehen mir die Leute ja auch seit fast 60 Jahren auf die Nerven, obwohl es nicht meine Schuld ist, dass ich so heiße.“ dachte ich, als ich es öffnete. Aber diesen Zahn hat mir Frau Hasters direkt auf den ersten Seiten gezogen. Meinen Namen sieht man mir ja nicht an, deshalb kann ich jedem Konflikt damit ausweichen, indem ich ihn verschweige (was ich gelegentlich tue). Ich könnte einen Spitznamen benutzen (fand ich immer blöd) oder ihn sogar ändern lassen. Diese Optionen hat man bei der Hautfarbe nicht. Mir greifen nicht auf der Straße wildfremde Menschen in die Haare. Wegen meiner Anwesenheit wechselt auch niemand die Straßenseite (außer ich will es). Ich konnte mich auch immer vergleichsweise sicher an Orten bewegen, die ich mit einer anderen Hautfarbe niemals betreten würde. Ich werde auch im Zug nicht in schlechtem Englisch von einem Schaffner aufgefordert, augenblicklich die erste Klasse zu verlassen (ist meiner Landtagsabgeordneten mal passiert) sondern werde höchstens gefragt, ob ich noch einen Kaffee möchte. Dass ich als alter weißer Mann glaube, dass es in Deutschland keinen Altagsrassismus gibt, liegt nur daran, dass ich ihn selber nicht erlebe. Er ist überall. Sogar in meinem Kopf. Ohne, dass ich es gemerkt habe sind mir auch schon Dinge passiert, die ich im Nachhinein unglaublich peinlich finde: Ich habe Leute wegen ihres Aussehens in Schubladen gesteckt und dabei auch rassistische Vorurteile im Kopf gehabt. Oder mich unsensibel ausgedrückt, dumme Fragen gestellt und, und, und... 

Frau Hasters hat mich dafür sensibilisiert, auf so etwas in Zukunft mehr zu achten. 

Ich gelobe Besserung und empfehle dieses Buch ausdrücklich. Auch solchen Menschen, die glauben, nicht rassistisch geprägt zu sein. Lest es und ihr wechselt die Perspektive. 

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